Plattform für verantwortungsvolle und mutige Zukunftslobbyisten

Wir sind bei Zukunft Neu Denken immer per Du. Da ihre Zeit eng bemessen ist, haben wir im Vorfeld noch nicht gesprochen, daher fange ich das Gespräch mit der Frage an: Darf ich dem Oberbürgermeister von Wuppertal das Du anbieten?
Ja klar.

Schön, dann legen wir los: Es tut sich viel in der mit rund 365.000 Einwohnern größten Stadt des Bergischen Landes. Eben erst haben sich die Wuppertaler dafür entschieden, dass sich die Stadt für die Bundesgartenschau, kurz BUGA 2031 bewirbt. Abgesehen davon, dass der Entscheid ein Erfolg für sich war: Was bedeutet das für die Zukunft der Stadt?
Es war wirklich eine Freude mitzuerleben, wie sich ein breites Bündnis aus unterschiedlichsten Unterstützern dafür stark gemacht hat, dass das Anliegen der Bürgerinitiative „BUGA – so nicht“ abgelehnt wurde. Auch weil die BUGA keine Blümchenschau ist, bei der wir ein halbes Jahr schöne Veranstaltungen inszenieren. Vielmehr stehen dahinter viele Ideen, die wie ein Kompass für die Stadt selbst dienen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die BUGA 2031 soll die erste ohne zusätzliche Parkplätze werden. Sprich: Die Besucher werden hauptsächlich über den öffentlichen Nahverkehr anreisen oder das Radwegenetz nutzen, das bislang aber noch unzureichend ausgebaut ist. Entsprechend gilt es, bis 2031 eine Fahrradkultur zu etablieren und/oder die Menschen dazu zu bringen, vermehrt auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen. Die BUGA bietet die Chance, die Stadt in Richtung Nachhaltigkeit, neue Mobilität, Kreislaufwirtschaft und auch Bürgerbeteiligungen zu entwickeln.

Die Bürgerinitiative gegen die BUGA hat euch also nicht „abgeschreckt“, die Bürger noch mehr einzubinden?
Ganz und gar nicht. Der Entscheid für die BUGA wurde uns zwar in gewisser Weise aufgezwungen. Im Nachhinein sind wir aber sogar dankbar dafür, denn dadurch ist eine tolle Aufklärungskampagne entstanden. Zudem muss gesagt werden, dass solche Bürgerentscheide im Normalfall negativ ausgehen. Dass das in Wuppertal nicht der Fall war und sich die Menschen für die BUGA entschieden haben, ist schon ein Ausrufezeichen – auch wenn es mit 51,8 Prozent ein recht knappes war. Nichtsdestotrotz konnten wir die Mehrheit überzeugen, dass es Sinn macht, auf so ein Zukunftsprojekt zu setzen.

Und es ist wirklich ein Zukunftsprojekt, schließlich findet die BUGA erst in neun Jahren statt. Ein Zeitraum, der für viele gar nicht „greifbar“ ist.
Natürlich sind neun Jahre eine lange Zeit und für manche Bereiche mag das auch zutreffen. Doch bei Verkehrsprojekten beispielsweise sind neun Jahre gar nichts. Hier müssen wir schleunigst die Weichen stellen, um Ressourcen und Kapazitäten entsprechend vorzusehen. Auch in der Verwaltung stehen unendlich viele Dinge an. Das Gute ist, dass wir mit der BUGA ein festes Datum haben. Was in einer Stadt zu tun ist, welche Dinge angegangen werden müssen, ist meist klar. Jedoch verschieben sich Projekte immer wieder, weil sie schlichtweg vom Alltag überrollt werden. Wir aber wissen jetzt, dass 2031 zwei Millionen Menschen nach Wuppertal kommen werden. Und wir müssen heute entscheiden, was dafür zu tun ist. Umso besser, dass seit dem Entscheid für die BUGA eine ganz andere, eine positive Grundspannung herrscht.

Wuppertal (© Stadt Wuppertal)

Du bist seit November 2020 Oberbürgermeister von Wuppertal. Mit dem Zukunftsprogramm #Fokus_Wuppertal war von Beginn an klar, dass Du etwas bewegen möchtest. Warum dieser Fokus auf die Zukunft und was steckt dahinter?
Für mich war klar, dass ich alles daransetzen werde, die Ansagen, die ich im Wahlkampf gemacht habe, auch umzusetzen und mich dabei nicht von den Anforderungen des täglichen Handels überrollen zu lassen – lokale Politik ist im Normalmodus nämlich oft sehr reaktiv. Daher haben wir am Anfang der Amtsperiode acht Bereiche – darunter Themenfelder wie Klimaneutralität, eine innovative und nachhaltige Mobilitätsstrategie oder die Vernetzung der Bildungs- und Forschungsinfrastruktur – in ein Zukunftsprogramm mit klaren Zielvorstellungen übersetzt. Dieses dient nun als Kompass und bietet den Menschen Orientierung – und zwar den Bürgern genauso wie der Verwaltung. Außerdem haben wir uns verpflichtet, jedes Jahr Rechenschaft darüber abzulegen, wo wir welche Schritte gesetzt haben, wo wir weitergekommen sind und was nicht geklappt hat. So merken die Menschen, dass sich etwas verändert und vieles nicht so schlecht läuft, wie es manchmal angesichts alltäglicher Probleme scheint.

Die Menschen haben sich irgendwie angewöhnt, das Negative in den Fokus zu stellen.
Das stimmt leider. Meiner Meinung nach hat das viel mit einer weitentwickelten Wohlstandsgesellschaft zu tun, in der wir leben. Man hat das Gefühl, dass viele Menschen nach vorne hin nichts zu gewinnen haben, sondern immer nur darauf achten, was sie alles verlieren können.

Du warst viele Jahre im universitären und damit eher im wissenschaftlich-theoretischen Bereich tätig. Als Oberbürgermeister gibt es wohl nur mehr Praxis. Wie geht man damit um?
Auch als Wissenschaftler habe ich ja schon sehr praxis- und politiknah gearbeitet. Nun aber stehe ich permanent im Rampenlicht und bin zudem emotionale Projektionsfläche für viele Menschen. Gerade in der Anfangsphase war das durchaus eine Herausforderung, für die ich auch Coping-Strategien entwickeln musste. Vom Kopf her weiß man das, aber wenn man dann tatsächlich damit konfrontiert wird, ist das etwas ganz anderes. Es ist auch eine totale Konfrontation mit sich selbst. Die Bürger kennen dich schlussendlich besser als du dich selbst.

…zumindest glauben sie das.
Na ja, das Reagieren auf Fremdbeobachtungen hat ja auch mit dem Bedürfnis zu tun, gemocht zu werden. Bei Angriffen, die in diesem Job mitunter in voller Brutalität auf einen zukommen, stellt man sich natürlich oft die Frage: Warum trifft mich dieser Kommentar, diese Attacke so sehr? Im Vergleich zu anderen Jobs kann man sich als Oberbürgermeister einer ständigen und umfassenden Beobachtung und Bewertung nicht entziehen. Also muss man sich intensiv mit sich selbst auseinandersetzen.
Ein wichtiger Stabilisationsfaktor für mich ist, mir immer wieder klarzumachen, dass es eine selbstgewählte Reise ist, an der man kontinuierlich wachsen muss, um sie erfolgreich auszufüllen. Hilfreich ist dabei übrigens das Bild des Energiefasses: Wo und wie kommt Energie oben hinein? Und wo sind Lecks und wie kann man das diese schließen? Eine sehr kraftvolle Vorstellung. Der Respekt vor all denen, die so einen Job über viele Jahre machen, ist jedenfalls unendlich gestiegen.

Wuppertal macht Zukunft (© Stadt Wuppertal)

Du beschäftigst dich schon lange damit, wie sich Gesellschaften verändern, und hast 2018 das Buch „Die große Transformation. Eine Einführung in die Kunst gesellschaftlichen Wandels“ veröffentlicht. Was braucht es denn, damit eine Gesellschaft zukunftsfähig wird?
Die Grundbotschaft des Buches ist die Zukunftskunst und, dass ein Veränderungsprozess nur dann funktionieren kann, wenn er mit Kreativität und positiver Energie angegangen wird. Außerdem braucht es immer eine kritische Masse an Menschen, die diese Veränderung in sich tragen und dadurch eine Dynamik auslösen. Städte sind in der Hinsicht ein spannendes Feld, weil sie oft reich an avantgardistischen Strömungen und Transformation sind. Allerdings kann sich positive Energie nur verbreiten, wenn das Kreative, das Lustvolle überwiegt. Nur so entstehen Räume, die andere mitnehmen können. Im Bereich der Forschung und Entwicklung, aber auch im Unternehmerischen etwa haben wir das oft; im Politisch-Institutionellen nur sehr selten bis gar nicht.

Das versuchst Du nun ja zu ändern.
Das Wissen aus dem Buch ist für mich wie ein Kompass. Gleichzeitig merke ich, wie herausfordernd es in der Praxis tatsächlich ist. Die Kraft bestehender Routinen kann derartige Möglichkeitsräume abtöten – ebenso wie negative Energien. Da gilt es, Tag für Tag dagegen anzukämpfen und Inseln guter Zukunftsenergien zu schaffen. In Wuppertal funktioniert das über ein fantastisches Netz an zukunftsaffinen Mitwirkenden. Hier haben wir die kritische Masse, die auch immer wieder mein Energiefass füllt. Ob es sich aber tatsächlich bestätigt, dass man allein mir Kreativität und positiver Energie alles bewegen kann, wird sich erst zeigen. Das Experiment läuft also noch.

Stoff für das nächste Buch?
Warum nicht? Denn selbst wenn es am Ende, aus welchen Gründen auch immer, scheitern sollte, wäre es sinnvoll ein Buch darüber schreiben, damit andere daraus etwas lernen können.

Stimmt, obwohl wir vom Scheitern nicht ausgehen. Vielmehr sind wir gespannt, was sich in Wuppertal in kommenden Jahren tut. Danke, dass du dir die Zeit für dieses inspirierende Gespräch genommen hast, Uwe.

 

Oberbürgermeister Wuppertal Uwe Schneidewind (© Stadt Wuppertal)

 

Zur Person: Uwe Schneidewind

…ist seit November 2020 Oberbürgermeister der bergischen Großstadt Wuppertal (Nordrhein-Westfalen). Zuvor war der Wissenschaftler und Autor, der überdies zu den 100 einflussreichsten Ökonomen Deutschlands gezählt wird, unter anderem Dekan und Präsident der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg sowie zuletzt zehn Jahre Präsident des Wuppertaler Instituts für Klima, Umwelt, Energie.

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weiter neu denken

Zum Jahresabschluss habe ich mir in einem Feedbackgespräch mit unserer Geschäftsführung gewünscht, dass ich im kommenden Jahr wieder mehr neues lernen möchte. Meinen Horizont erweitern und neue Perspektiven gewinnen möchte. Wer die Zukunft gestalten will, der muss offen für Neues sein – Neues aufsaugen, aufnehmen, inhalieren, die Dinge neu formen. So in etwa stellte ich mir das für 2023 zumindest vor. Irgendwie lebendig, aktiv und vorwärts.
Doch während der Feiertage bin ich in den inneren Diskurs gegangen. Das Jahr 2022 war für mich – um es in einem Wort zu sagen – voll. Voll im Sinne des sprichwörtlichen Fasses, dass nicht nur droht überzulaufen, sondern dies auch tat. Und so war mir plötzlich klar, dass mein Wunsch für 2023 nicht darin besteht, dieses bereits volle Fass weiter aufzufüllen. Vielmehr wünsche ich mir für das anstehende Jahr ein halb volles Fass – wobei die Betonung auf voll liegt, denn halb leer ist keine Option für mich.

Braucht es wirklich mehr?

Ich bin davon überzeugt, dass es viel positiver Energie von uns allen bedarf, eine gute und glückliche Zukunft zu gestalten. Doch wie soll das gehen, wenn wir ständig kurz vor dem Überlaufen stehen? Brauchen wir tatsächlich immer noch mehr Neues? Müssen wir uns wirklich kontinuierlich neues Wissen aneignen? Ist es sinnvoll bzw. erstrebenswert, im Hamsterrad von mehr, mehr und nochmals mehr zu bleiben? 
Meiner Meinung nach nein. Nicht höher, weiter und schneller sollte die Prämisse sein, sondern partizipativer, sinnhafter und empathischer. Achtsamer im Umgang mit unseren Ressourcen – unseren eigenen, die unserer Mitmenschen und die der Erde. Wir stehen vor großen Herausforderungen. Doch müssen wir Neues lernen, um diese Herausforderungen zu meistern und zu bestehen.

Verlernen, um zu lernen

Ich habe meine Zweifel und frage mich, ob wir nicht lieber verlernen sollten? Ein Verlernen von Glaubenssätzen, von Paradigmen, von „das haben wir schon immer so gemacht“. Können wir durch aktives Verlernen Raum für neue Perspektiven schaffen, Bilder einer Zukunft, die frei von den Grenzen der eigenen erlernten Kultur ist? Frei von den Grenzen im Denken der Möglichkeiten?
Je mehr ich darüber nachgedacht habe (und nach wie vor nachdenke), umso einfacher erscheint es mir, Neues zu lernen, als Bestehendes und Gewohntes zu verlernen. Und wer weiß: Vielleicht bietet gerade das Verlernen bzw. der Prozess des Verlernens ungeahnte Möglichkeiten für Veränderungen, Wandel und neue Erfahrungen?
Für mich ist Lernen Gegenwart. Verlernen ist Zukunft. Und lernen zu verlernen, um dabei zu lernen, ist Zukunftsgestaltung.

Über die Autorin…

Janina Clever leitet als Industrie Designerin bei Generationdesign in Wuppertal komplexe Design- und Strategieprojekte. Die studierte Arbeits- und Organisationspsychologin setzt auf nachhaltigen Mehrwert und Nutzen, der durch agile und interdisziplinäre Austauschformate und Arbeitsmethoden entsteht. Dabei sieht sie in der Fusion von digitalen und realen Formaten für die Zukunft noch unentdeckte Potenziale. Janina Clever ist außerdem Teil des Zukunftsrates von Zukunft Neu Denken.

 

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Müssen wir lernen zu verlernen?

Lebenslanges Lernen ist in aller Munde. Janina Clever aber fragt sich: Müssen wir tatsächlich immer mehr wissen? Oder sollten wir nicht lieber lernen zu verlernen?

2.562 Menschen starben 2021 auf Deutschlands Straßen, in Österreich waren es 359. In den meisten Fällen sind diese auf nicht angepasste Fahrgeschwindigkeit, Unachtsamkeit bzw. Ablenkung und Vorrangverletzung zurückzuführen. Mit anderen Worten: Verkehrsunfälle haben meist eines gemeinsam – nämlich menschliches Fehlverhalten. Und das lässt sich ändern. Schon durch das Einhalten von Tempolimits und sonstigen Vorschriften sowie durch kontrolliertes und achtsames Fahren könnte dazu beigetragen werden, dass sich die Zahl der Verletzten und Toten im Straßenverkehr deutlich reduziert. Und nicht zuletzt könnte jeder einzelne für die eigene Sicherheit sorgen. Denn Tatsache ist: Hinter jedem Steuer stecken Menschen und Geschichten.

Crash-Kurs

In der Verkehrspolitik spielt das Thema Verkehrssicherheit europaweit eine wichtige Rolle. So wurden beispielsweise Maßnahmen festgelegt, um bereits bei der Fahrzeugherstellung besonders gefährliche Stoffe zu vermeiden und die Wiederverwendung sowie Verwertung von Fahrzeugen mit Totalschaden und deren Bauteile zu intensivieren. Ein von der Versicherung festgestellter (wirtschaftlicher) Totalschaden bedeutet also nicht automatisch, dass das Fahrzeug Schrott ist. Schließlich besteht ein Auto aus rund 10.000 Einzelteilen, die von Hersteller zu Hersteller unterschiedlich sind. Universal-Teile gibt es nicht, was ein Crash-Fahrzeug in gewisser Weise zum begehrten Ersatzteillager macht. Das am häufigsten ausgebaute Ersatzteil, bevor ein Auto verschrottet wird, ist übrigens der Katalysator, in dem sich unter anderem seltene Metalle befinden.

Eine Frage der Mobilität

Die Frage aber ist nicht nur, was passiert mit geschredderten Fahrzeugteilen – die werden sortiert und weiterverarbeitet. Sondern auch: Was passiert mit dem Menschen, der hinter dem Steuer gesessen hat – egal, ob sein Auto aufgrund eines Unfalls auf dem Schrottplatz gelandet ist oder schlichtweg, weil es nicht mehr zugelassen werden konnte? Steht das neue, noch größere, noch schnellere, noch bessere Fahrzeug bereits in der Garage? Oder setzt man auf einen kleineren Straßenflitzer, auf E-, Hybrid- oder eine andere Alternative? Oder kommt man sogar ohne Auto durchs Leben? Steigt man möglicherweise auf ein motorisiertes Zweirad um oder tritt man gar in die Pedale? Und wie schaut es mit den Öffis aus?
Um all die Fragen auf einen Punkt zu bringen: Was braucht es, damit Mobilität in Zukunft anders gedacht wird bzw. werden kann?

 

Über den Fotografen

Die Bilder wurden von Bence Szalai aufgenommen. Der Fotograf und Filmemacher möchte den Blick des Betrachters auf die Details lenken. Er sieht seine Arbeit als das Radio, den Schallplattenspieler oder den Lautsprecher, über den die Musik abgespielt bzw. gehört wird und dessen Qualität das Hörerlebnis maßgeblich beeinflusst.
www.rnbpictures.com

 

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Nur ein Kratzer: Mobilität nach dem Schrottplatz

Hinter jedem Steuer steckt eine Geschichte. Warum ein Crash-Car mehr als nur Schrott ist und wieso wir Mobilität neu denken sollten. Eine Fotostrecke von Bence Szalai.

Im Kreuzworträtsel hat das Vertrauen in die Zukunft acht, manchmal zehn Buchstaben. Im echten Leben benötigen wir dafür wesentlich mehr Buchstaben. Und immer öfter fehlen uns die Worte, wenn es darum geht, vertrauensvoll in die Welt von morgen zu schauen. Das zeigte etwa eine im Frühjahr 2022 vom SORA-Institut durchgeführte Umfrage unter rund 24.000 jungen Österreichern zwischen 16 und 25 Jahren. Diese nämlich ergab, dass es nicht gerade zum Besten steht mit dem Vertrauen in die Zukunft. Vor allem der Krieg in der Ukraine (84 %) bereitet der Generation Z Sorgen, aber auch der Klimawandel (67 %), die immer breiter werdende Schere zwischen Arm und Reich (59 %) sowie Pandemie und Wirtschaftskrise (jeweils 55 %). Dass dabei nur wenig Vertrauen in die Zukunft aufkommt, habe laut Umfrage insbesondere damit zu tun, dass wir bei den großen Zukunftsthemen – von der zunehmenden ökonomischen Ungleichheit über den Klimawandel bis hin zur Pflegeproblematik, Energiewende und Bildung – schlecht unterwegs sind. Wobei mit „wir“ eigentlich die Politik gemeint ist, denn diese handle schon seit Jahren zu kurzfristig und zu populistisch, sind 88 % der Befragten überzeugt.
Dass auch andere Generationen – ob Y, X, Babyboomer oder wie sie sonst noch so heißen – eher misstrauisch in Richtung Zukunft schielen, bedarf wohl keiner weiteren Umfragen. Doch wäre es zu kurz gedacht, den politischen Entscheidungsträgern den schwarzen Peter zuzuschieben, sich zurückzulehnen und abwartend Däumchen zu drehen. Zum einen, weil es nicht so ausschaut, als würde sich die Politik alsbald und voller Tatendrang um die anstehenden Herausforderungen bemühen. Und zum anderen ist es nicht nur Aufgabe der Politik, sich um Lösungen für die aktuellen Probleme zu bemühen. Dessen sind sich die Jungen übrigens durchaus bewusst: So sind 71 % der Meinung, dass wir alle unseren Lebensstil verändern müssen, um beispielsweise den Klimawandel zu bekämpfen.

Es liegt an uns selbst

Dass wir das Ruder selbst herumreißen, Verantwortung übernehmen und mutig (voran)gehen können, stimmt positiv – zumindest mich. Eine entscheidende Rolle spielt dabei allerdings das Vertrauen. Dieses sorgt nämlich unter anderem dafür, dass wir uns wohlfühlen und zuversichtlich sind. Was aber, wenn man sich eben hinsichtlich der Zukunft mit dem Vertrauen schwertut? Wie soll man Zuversicht schöpfen, wenn einen nur mehr Sorgen und Ängste plagen? Wie soll man sich wohlfühlen, wenn sich alles nur noch schlecht anfühlt?
Was das Wohlbefinden angeht, sollten wir wissen, dass dieses weniger mit dem zusammenhängt, was kommt, als vielmehr mit dem, was ist und was war – also mit den aktuellen Erlebnissen sowie mit unseren Erinnerungen. In seinem Weltbestseller „Thinking, Fast and Slow“ beschreibt der Psychologe und Nobelpreisträger Daniel Kahnemann unter anderem das Konzept der zwei Selbste: So haben wir ein erlebendes Selbst, das sich andauernd mit der Frage beschäftigt: „Fühle ich mich gerade wohl oder tut es weh?“ und zugleich ein erinnerndes Selbst, dass die Frage beantwortet: „Wie war es im Großen und Ganzen?“ Kahnemann ist mittlerweile davon überzeugt, dass das eigene Wohlbefinden nicht nur damit zu tun hat, wie es uns mit dem, was wir gerade erleben, geht, sondern dass wir immer auch Urteile und Bewertungen über das bereits Erlebte einfließen lassen. Oder um es mit seinen Worten zu sagen:

„Wir müssen uns mit der Komplexität einer hybriden Sichtweise abfinden, bei der das Wohlbefinden beider Selbste berücksichtigt wird.“

Gehe ich nun davon aus, dass mein Wohlbefinden in der Zukunft sowohl davon abhängt, was ich in Zukunft erleben werde, als auch davon, was ich in der Vergangenheit erlebt habe, dann sollten wir doch alles daransetzen, heute schon positive Erinnerungen zu schaffen, sodass wir morgen eine Welt haben, in der wir uns wohlfühlen können.

Vertrauen lernen

Soweit so gut. Um das Vertrauen in die Zukunft steht es trotzdem noch nicht besser bestellt? Das mag daran liegen, dass wir in die Zukunft gar nicht vertrauen können. Nicht, weil sie sich chaotisch, alles andere als planbar und sicher präsentiert, uns im Gegenteil Rätsel aufgibt und die eine oder andere Sorgenfalte beschert. Das ist eine Tatsache, die wir akzeptieren und mit der wir leben müssen. Der Grund, warum wir der Zukunft nicht vertrauen können, ist, dass Vertrauen immer mit Menschen zu tun hat – mit uns selbst und mit unseren Mitmenschen, vom engsten Familienkreis über entfernt Bekannte bis hin zur Gesellschaft generell. Sowohl das Selbst- als auch das Vertrauen gegenüber anderen ist eng mit Erfahrungswerten verbunden. So haben wir beispielsweise schon früh gelernt, ob wir auf uns selbst und unseren Fähigkeiten und/oder auf andere Menschen bauen können. Vertrauen ist folglich eine erlernte Entscheidung. Und das ist gut, denn somit liegt es erstens an uns, ob wir vertrauen oder nicht. Und zweitens können wir es wieder lernen – sofern uns das Vertrauen abhandengekommen ist.

Hoffnungsvoll ins Morgen

Wenn wir vom Vertrauen in die Zukunft sprechen, geht es also darum, den eigenen Fähigkeiten als auch anderen Menschen zu vertrauen und darauf, dass man gemeinsam den Weg meistern wird. Es gilt, (wieder) Zuversicht zu erlangen und sich beim Gedanken an die Welt von morgen wohl zu fühlen. Das lässt die Hoffnung auf eine gute Zukunft immer noch nicht wachsen, schließlich – so das allgemeine „Totschlagargument“ – weiß niemand, was kommen wird. Befasst man sich aber genauer mit dem Thema Vertrauen, schaut die Sache anders aus.
Der deutsche Philosoph und Soziologe Georg Simmel (1858-1918) beschrieb Vertrauen als einen Zustand zwischen Wissen und Nichtwissen, eine „Hypothese künftigen Verhaltens“, auf die wir konkretes Handeln gründen. Wer vertraut, geht also bewusst und im guten Glauben davon aus, dass man selbst und/oder die Mitmenschen sich so oder so verhalten und dass sich in der Folge eine Sache so entwickelt, wie es versprochen wurde oder wie man es erhofft hat. Ob diese dann tatsächlich so eintritt, ist eine andere Sache und für den ersten vertrauensvollen Schritt gar nicht entscheidend. Viel wichtiger ist, dass wir Vertrauen als ein reißfestes Band begreifen, an dem wir uns auf dem Weg ins Neue, Unbekannte – oder eben in die Zukunft – anhalten und orientieren können, sogar dann, wenn Umstände (noch) unsicher erscheinen. Genauso aber sollten wir uns auch darüber im Klaren sein, dass sich Vertrauen ungeheuer schnell und durch kleinste Dinge zerstören lässt.

Was und wen bringst du mit?

Inwiefern wir anderen Menschen vertrauen (können), ist freilich so eine Sache. Doch uns selbst können oder vielmehr müssen wir auf jeden Fall vertrauen. Mit Blick in die Zukunft bedeutet das, sich seiner Fähigkeiten und Begabungen, seiner Charaktereigenschaften, seiner Werte und Haltungen bewusst zu werden. Diese sind sozusagen die Werkzeuge, die uns helfen, Situationen im Jetzt, aber auch im Morgen zu meistern und anstehende Aufgaben zu lösen.
Also: Über welche Fähigkeiten und Kompetenzen verfügst du? Was kannst du gut? Was kannst du, was viele andere nicht (so gut) können? Welche Kenntnisse und Leidenschaften treiben dich an? Worüber möchtest du immer mehr wissen? Was weckt deine Neugier, deinen Wissensdrang? Womit beschäftigst du dich intensiv – mehr als die meisten Menschen? Welche Werte vertrittst du? Welche Werte sind dir wichtig? Was gibt deinem Leben Sinn und Richtung? Welche Stärke macht dich aus, für welche Tugend stehst du, welche besondere Eigenschaft verkörperst du?
Neben all dem, was wir selbst mitbringen, kommt es auf Beziehungen, auf Gruppen und Gemeinschaften an, denen wir angehören. Womit wir wieder bei den Mitmenschen wären. Denn Tatsache ist: Gemeinsam können wir besser für unsere Interessen eintreten, uns gegenseitig motivieren und uns durch gegenseitiges Vertrauen stärken. Spätestens dann kennen wir des (Kreuzwort-)Rätsels Lösung und wissen, dass „Vertrauen in die Zukunft“ Hoffnung oder Zuversicht oder noch besser beides zusammen bedeutet.

 

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Christiane Mähr,Featured,Vertrauen

Vertrauen wir uns mal selbst – dann der Zukunft

Warum wir gar nicht in die Zukunft vertrauen können, was das mit Ängsten und Sorgen, Erinnerungen und Erlebnissen zu tun hat und warum wir es selbst in der Hand haben, mutig in die Zukunft zu gehen und dabei andere an der Hand nehmen sollten.