Plattform für verantwortungsvolle und mutige Zukunftslobbyisten

Ja, woran orientieren wir uns? Oder anders gefragt: Was bietet überhaupt noch Orientierung – nicht nur, aber vor allem in Zeiten wie diesen? Wobei mit Letzterem gar nicht mal so sehr die Corona-Pandemie gemeint ist, sondern eher die Tatsache, dass Veränderungen vermehrt in Echt-Zeit stattfinden. Noch bevor wir uns an etwas Neues gewöhnt haben, steht bereits der nächste Wandel an. Das war längst vor Corona der Fall. Allerdings hat uns diese Krise in gewisser Weise ins eiskalte Wasser der hyperschnellen Veränderungen geschmissen. So hat sich in den letzten beiden Jahren so gut wie jeder von uns in irgendeiner Art und Weise verändert – ob beruflich oder privat, ob gewollt oder gezwungenermaßen. Auch das war schon immer so, nicht zuletzt, weil wir uns stetig weiterentwickeln – zumindest die meisten von uns. Und doch ist es jetzt anders. Zum einen, weil es uns zum Teil eben von außen, um nicht zu sagen „von oben“ auferlegt wurde. Zum anderen wurde vielen von uns wohl erst jetzt klar, wie unglaublich schnelle sich unsere Welt verändert.

Planen war gestern

Wir sind es gewohnt zu planen: seien es die Termine der kommenden Woche, sei es der nächste Urlaub, seien es Hausbau oder Wohnungskauf, die Anschaffung eines neuen Autos oder (E-)Bikes – whatever. Und viele von uns sind in Zeiten aufgewachsen, in denen man solche Dinge auch noch planen konnte, in denen einem der vorgegeben Weg – Ausbildung, Job, Familiengründung, Hausbau, Pension – eine Form der Sicherheit und, ja, auch Orientierung gegeben hat. Ob man diesen Weg schlussendlich genauso gegangen ist, ist freilich eine andere Frage. Allein: Wir konnten zumindest derart langfristige Pläne schmieden. Heute scheint das nahezu sinnlos zu sein – schlichtweg, weil es an sich unmöglich ist. Und die letzten beiden Jahre haben uns in der Hinsicht regelrecht vorgeführt. Manch einer versucht nach wie vor zu planen. Andere haben mittlerweile damit aufgehört, weil es am Ende des Tages eben doch keinen Sinn ergibt, wenn morgen ohnehin wieder alles anders ist. Die derzeitige Situation ist durchaus mit einer Fahrt bei schlechter Sicht zu vergleichen. Wenn Nebelschwaden aufziehen, bräuchte man Anhaltspunkte wie die weißen Halbkreise, die man am Rande des Autobahnstreifens sieht und die einem Aufschluss darüber geben sollen, wie schnell man bei Nebel fahren sollte. Den dritten der im Abstand von jeweils 33 Meter hintereinander aufgemalten Halbkreise sehen wir schon lange nicht mehr. Den zweiten glaubt man noch ausmachen zu können. Doch wenn wir ehrlich sind, können wir nur noch den ersten Halbkreis erkennen – und manchmal bereitet sogar das Schwierigkeiten.

Kein Durchgang (© Christiane Mähr)

Vorhersage für Morgen: Nebel

Sollen wir also auf die Bremse steigen und unvermittelt stehen bleiben? Was würde passieren, würden wir es tatsächlich tun? Wenn nicht auch alle anderen so denken, hätte die eigene Vollbremsung einen Riesencrash mit erheblichen Aus- und Nachwirkungen zur Folge. Sollten die anderen ebenfalls vom Gas gehen, hätten wir es mit einem Stillstand zu tun, bei dem nicht absehbar ist, wann es wieder weitergeht. Denn wer weiß schon, wann sich die Nebelschwaden wieder lichten werden – wenn überhaupt. Genauso wenig wird sich die Welt, in der wir leben, langsamer verändern. Vielmehr wird sie sich immer öfter, wenn nicht sogar durchgehend in einem nebulösen, sprich für uns unklaren und mitunter rätselhaften Zustand präsentieren. Umgelegt auf unsere Zeit könnte man sagen: Wir befinden uns tagtäglich am Rande einer Nebelzone. Orientierung: Fehlanzeige. Dabei repräsentiert der erste halbkreisförmige Nebelpunkt das Heute, der zweite das Morgen und der dritte das Übermorgen. Die Zukunft ist somit eine unbekannte, nicht greifbare und gewissermaßen schleierhafte Zeitzone. Trotzdem oder gerade deshalb sollten wir lernen, mit ihr umzugehen und sie im Heute nach unseren Vorstellungen zu formen. Müssen wir dafür „auf Sicht fahren“? Ja und nein. Ja, wenn darunter verstanden wird, dass Zukunft die Folge der Entscheidungen ist, die wir heute treffen. Insofern macht es nämlich sehr wohl Sinn, uns auf das heute Sichtbare zu konzentrieren, ins Tun zu kommen und alles in die Wege zu leiten, um Morgen und Übermorgen erfolgreich zu sein. Wer beim Fahren auf Sicht jedoch darauf abzielt, immer und überall auf Nummer Sicher zu gehen, muss sich über zwei Dinge im Klaren sein: Erstens ist das nicht möglich und zweitens bringt es uns keinen Schritt weiter.

Wertvolle Zukunftsvisionen

Einmal mehr stellt sich somit die Frage: Was gibt uns in derart nebligen Zeiten Orientierung? Gesellschaftliche Strukturen, Gegebenheiten des Marktes, Wirtschaftsdaten, Politik oder andere äußere Faktoren können wohl schwerlich dafür herhalten. Und zwar nicht nur weil wir diese nicht direkt beeinflussen können, sondern insbesondere, weil sie sich in unserer schnelllebigen Zeit als zu instabil und nicht vertrauenswürdig erwiesen haben, als dass sie konstante Parameter sein könnten. Megatrends bilden ab, wie sich Gesellschaften auf unterschiedlichen Ebenen (höchstwahrscheinlich) entwickeln werden und können damit durchaus als wertvolle Hilfestellungen betrachtet werden. Sie sind – wie die Bezeichnung Megatrend vermuten lässt – groß, zum Teil schwer fassbar und langsam, wobei Letzteres auch so sein soll. Insofern können sie dem Einzelnen bei seinen persönlichen Entscheidungen im Hier und Heute Orientierung bieten. Konkrete Lösungen, Ziele oder Visionen aber geben sie keine – das wollen sie gar nicht.

Der deutsche Aktionskünstler Joseph Beuys hat einmal gesagt: „Die Zukunft, die wir uns wünschen, muss erfunden werden. Sonst bekommen wir eine, die wir nicht wollen.“ Oder um Pippi Langstrumpf zu zitieren: „Ich mach‘ mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt.“

Mit anderen Worten: Es liegt an uns selbst, Lösungen für das Morgen zu finden, denn wer nicht weiß, was und wohin er möchte, verhindert Veränderung und (Weiter-)Entwicklung. Wer im Nebel navigieren, zu den Sternen greifen und somit ins Tun kommen möchte, braucht Visionen. Untermauert werden diese durch Werte: Was braucht es, um die eigene Vision zu erfüllen? Worin möchte man Zeit und Energie investieren? Was bereitet Freude? Was ist wirklich wichtig, wenn es darum geht, Zukunft neu zu denken und das Morgen nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten – und zwar nachhaltig. Letzteres ist entscheidend, denn bei all der Konzentration auf die eigenen Visionen und Werte ist es unsere Pflicht als Individuum, als Unternehmen, Organisation oder Institution – kurz als Gesellschaft die Zukunft derart zu denken, zu planen und zu gestalten, dass sie für einen jeden von uns lebenswert bleibt.

Zukunftsrichtung (© Christiane Mähr)

Learning by doing par excellence

Visionen sind Möglichkeitsräume von morgen, Werte die dafür nötigen Triebfedern. Und beide zusammen geben Orientierung. Dass wir dabei dennoch flexibel bleiben müssen, haben uns die letzten beiden Jahre verdeutlicht. Corona hat uns irrsinnig viel abverlangt und tut es zum Teil nach wie vor. Trotzdem kann es auch als Spielwiese der Flexibilität betrachtet werden. Wann, wenn nicht jetzt, sollten wir anfangen, unsere Zukunft neu zu denken? Fakt ist: Herumsitzen und Warten bringt uns nicht weiter. Wir wissen nicht, wann diese Krise zu Ende sein, wie sich dieses Ende überhaupt zeigen und was danach sein wird. Was aber würde es ändern, wenn wir wüssten, dass die Pandemie morgen oder erst in x Jahren für beendet erklärt wird – sofern es überhaupt ein eindeutiges Ende geben wird? Auf all diese Fragen gibt es keine Antworten – nicht wegen Corona, sondern weil niemand die Zukunft vorhersagen kann. Wir werden nie wissen, was morgen und übermorgen passiert. In gewisser Weise befinden wir uns in einem Zustand des perfekten Umbruchs, der uns gleichzeitig mehr denn je die große Chance bietet, die eigene Zukunft selbst in die Hand zu nehmen. Und dafür brauchen wir keine Zukunftstrends oder sonstige Vorhersagen. Vielmehr gilt es, die Möglichkeiten zu sehen, die sich vor uns auftun. Es geht darum, den gedanklichen Trendbildern einen richtigen Raum zu geben und ins Tun zu kommen. Orientieren, Positionieren und Navigieren in unbekannten Zukunftsgefilden beginnt im Kopf. Der erste Schritt besteht darin, sich die richtigen Fragen zu stellen. Also auf was warten wir noch?

 

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Weitere Beiträge

weiter neu denken

Zum Jahresabschluss habe ich mir in einem Feedbackgespräch mit unserer Geschäftsführung gewünscht, dass ich im kommenden Jahr wieder mehr neues lernen möchte. Meinen Horizont erweitern und neue Perspektiven gewinnen möchte. Wer die Zukunft gestalten will, der muss offen für Neues sein – Neues aufsaugen, aufnehmen, inhalieren, die Dinge neu formen. So in etwa stellte ich mir das für 2023 zumindest vor. Irgendwie lebendig, aktiv und vorwärts.
Doch während der Feiertage bin ich in den inneren Diskurs gegangen. Das Jahr 2022 war für mich – um es in einem Wort zu sagen – voll. Voll im Sinne des sprichwörtlichen Fasses, dass nicht nur droht überzulaufen, sondern dies auch tat. Und so war mir plötzlich klar, dass mein Wunsch für 2023 nicht darin besteht, dieses bereits volle Fass weiter aufzufüllen. Vielmehr wünsche ich mir für das anstehende Jahr ein halb volles Fass – wobei die Betonung auf voll liegt, denn halb leer ist keine Option für mich.

Braucht es wirklich mehr?

Ich bin davon überzeugt, dass es viel positiver Energie von uns allen bedarf, eine gute und glückliche Zukunft zu gestalten. Doch wie soll das gehen, wenn wir ständig kurz vor dem Überlaufen stehen? Brauchen wir tatsächlich immer noch mehr Neues? Müssen wir uns wirklich kontinuierlich neues Wissen aneignen? Ist es sinnvoll bzw. erstrebenswert, im Hamsterrad von mehr, mehr und nochmals mehr zu bleiben? 
Meiner Meinung nach nein. Nicht höher, weiter und schneller sollte die Prämisse sein, sondern partizipativer, sinnhafter und empathischer. Achtsamer im Umgang mit unseren Ressourcen – unseren eigenen, die unserer Mitmenschen und die der Erde. Wir stehen vor großen Herausforderungen. Doch müssen wir Neues lernen, um diese Herausforderungen zu meistern und zu bestehen.

Verlernen, um zu lernen

Ich habe meine Zweifel und frage mich, ob wir nicht lieber verlernen sollten? Ein Verlernen von Glaubenssätzen, von Paradigmen, von „das haben wir schon immer so gemacht“. Können wir durch aktives Verlernen Raum für neue Perspektiven schaffen, Bilder einer Zukunft, die frei von den Grenzen der eigenen erlernten Kultur ist? Frei von den Grenzen im Denken der Möglichkeiten?
Je mehr ich darüber nachgedacht habe (und nach wie vor nachdenke), umso einfacher erscheint es mir, Neues zu lernen, als Bestehendes und Gewohntes zu verlernen. Und wer weiß: Vielleicht bietet gerade das Verlernen bzw. der Prozess des Verlernens ungeahnte Möglichkeiten für Veränderungen, Wandel und neue Erfahrungen?
Für mich ist Lernen Gegenwart. Verlernen ist Zukunft. Und lernen zu verlernen, um dabei zu lernen, ist Zukunftsgestaltung.

Über die Autorin…

Janina Clever leitet als Industrie Designerin bei Generationdesign in Wuppertal komplexe Design- und Strategieprojekte. Die studierte Arbeits- und Organisationspsychologin setzt auf nachhaltigen Mehrwert und Nutzen, der durch agile und interdisziplinäre Austauschformate und Arbeitsmethoden entsteht. Dabei sieht sie in der Fusion von digitalen und realen Formaten für die Zukunft noch unentdeckte Potenziale. Janina Clever ist außerdem Teil des Zukunftsrates von Zukunft Neu Denken.

 

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Müssen wir lernen zu verlernen?

Lebenslanges Lernen ist in aller Munde. Janina Clever aber fragt sich: Müssen wir tatsächlich immer mehr wissen? Oder sollten wir nicht lieber lernen zu verlernen?

2.562 Menschen starben 2021 auf Deutschlands Straßen, in Österreich waren es 359. In den meisten Fällen sind diese auf nicht angepasste Fahrgeschwindigkeit, Unachtsamkeit bzw. Ablenkung und Vorrangverletzung zurückzuführen. Mit anderen Worten: Verkehrsunfälle haben meist eines gemeinsam – nämlich menschliches Fehlverhalten. Und das lässt sich ändern. Schon durch das Einhalten von Tempolimits und sonstigen Vorschriften sowie durch kontrolliertes und achtsames Fahren könnte dazu beigetragen werden, dass sich die Zahl der Verletzten und Toten im Straßenverkehr deutlich reduziert. Und nicht zuletzt könnte jeder einzelne für die eigene Sicherheit sorgen. Denn Tatsache ist: Hinter jedem Steuer stecken Menschen und Geschichten.

Crash-Kurs

In der Verkehrspolitik spielt das Thema Verkehrssicherheit europaweit eine wichtige Rolle. So wurden beispielsweise Maßnahmen festgelegt, um bereits bei der Fahrzeugherstellung besonders gefährliche Stoffe zu vermeiden und die Wiederverwendung sowie Verwertung von Fahrzeugen mit Totalschaden und deren Bauteile zu intensivieren. Ein von der Versicherung festgestellter (wirtschaftlicher) Totalschaden bedeutet also nicht automatisch, dass das Fahrzeug Schrott ist. Schließlich besteht ein Auto aus rund 10.000 Einzelteilen, die von Hersteller zu Hersteller unterschiedlich sind. Universal-Teile gibt es nicht, was ein Crash-Fahrzeug in gewisser Weise zum begehrten Ersatzteillager macht. Das am häufigsten ausgebaute Ersatzteil, bevor ein Auto verschrottet wird, ist übrigens der Katalysator, in dem sich unter anderem seltene Metalle befinden.

Eine Frage der Mobilität

Die Frage aber ist nicht nur, was passiert mit geschredderten Fahrzeugteilen – die werden sortiert und weiterverarbeitet. Sondern auch: Was passiert mit dem Menschen, der hinter dem Steuer gesessen hat – egal, ob sein Auto aufgrund eines Unfalls auf dem Schrottplatz gelandet ist oder schlichtweg, weil es nicht mehr zugelassen werden konnte? Steht das neue, noch größere, noch schnellere, noch bessere Fahrzeug bereits in der Garage? Oder setzt man auf einen kleineren Straßenflitzer, auf E-, Hybrid- oder eine andere Alternative? Oder kommt man sogar ohne Auto durchs Leben? Steigt man möglicherweise auf ein motorisiertes Zweirad um oder tritt man gar in die Pedale? Und wie schaut es mit den Öffis aus?
Um all die Fragen auf einen Punkt zu bringen: Was braucht es, damit Mobilität in Zukunft anders gedacht wird bzw. werden kann?

 

Über den Fotografen

Die Bilder wurden von Bence Szalai aufgenommen. Der Fotograf und Filmemacher möchte den Blick des Betrachters auf die Details lenken. Er sieht seine Arbeit als das Radio, den Schallplattenspieler oder den Lautsprecher, über den die Musik abgespielt bzw. gehört wird und dessen Qualität das Hörerlebnis maßgeblich beeinflusst.
www.rnbpictures.com

 

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Disconnect,Fotostrecke

Nur ein Kratzer: Mobilität nach dem Schrottplatz

Hinter jedem Steuer steckt eine Geschichte. Warum ein Crash-Car mehr als nur Schrott ist und wieso wir Mobilität neu denken sollten. Eine Fotostrecke von Bence Szalai.

Im Kreuzworträtsel hat das Vertrauen in die Zukunft acht, manchmal zehn Buchstaben. Im echten Leben benötigen wir dafür wesentlich mehr Buchstaben. Und immer öfter fehlen uns die Worte, wenn es darum geht, vertrauensvoll in die Welt von morgen zu schauen. Das zeigte etwa eine im Frühjahr 2022 vom SORA-Institut durchgeführte Umfrage unter rund 24.000 jungen Österreichern zwischen 16 und 25 Jahren. Diese nämlich ergab, dass es nicht gerade zum Besten steht mit dem Vertrauen in die Zukunft. Vor allem der Krieg in der Ukraine (84 %) bereitet der Generation Z Sorgen, aber auch der Klimawandel (67 %), die immer breiter werdende Schere zwischen Arm und Reich (59 %) sowie Pandemie und Wirtschaftskrise (jeweils 55 %). Dass dabei nur wenig Vertrauen in die Zukunft aufkommt, habe laut Umfrage insbesondere damit zu tun, dass wir bei den großen Zukunftsthemen – von der zunehmenden ökonomischen Ungleichheit über den Klimawandel bis hin zur Pflegeproblematik, Energiewende und Bildung – schlecht unterwegs sind. Wobei mit „wir“ eigentlich die Politik gemeint ist, denn diese handle schon seit Jahren zu kurzfristig und zu populistisch, sind 88 % der Befragten überzeugt.
Dass auch andere Generationen – ob Y, X, Babyboomer oder wie sie sonst noch so heißen – eher misstrauisch in Richtung Zukunft schielen, bedarf wohl keiner weiteren Umfragen. Doch wäre es zu kurz gedacht, den politischen Entscheidungsträgern den schwarzen Peter zuzuschieben, sich zurückzulehnen und abwartend Däumchen zu drehen. Zum einen, weil es nicht so ausschaut, als würde sich die Politik alsbald und voller Tatendrang um die anstehenden Herausforderungen bemühen. Und zum anderen ist es nicht nur Aufgabe der Politik, sich um Lösungen für die aktuellen Probleme zu bemühen. Dessen sind sich die Jungen übrigens durchaus bewusst: So sind 71 % der Meinung, dass wir alle unseren Lebensstil verändern müssen, um beispielsweise den Klimawandel zu bekämpfen.

Es liegt an uns selbst

Dass wir das Ruder selbst herumreißen, Verantwortung übernehmen und mutig (voran)gehen können, stimmt positiv – zumindest mich. Eine entscheidende Rolle spielt dabei allerdings das Vertrauen. Dieses sorgt nämlich unter anderem dafür, dass wir uns wohlfühlen und zuversichtlich sind. Was aber, wenn man sich eben hinsichtlich der Zukunft mit dem Vertrauen schwertut? Wie soll man Zuversicht schöpfen, wenn einen nur mehr Sorgen und Ängste plagen? Wie soll man sich wohlfühlen, wenn sich alles nur noch schlecht anfühlt?
Was das Wohlbefinden angeht, sollten wir wissen, dass dieses weniger mit dem zusammenhängt, was kommt, als vielmehr mit dem, was ist und was war – also mit den aktuellen Erlebnissen sowie mit unseren Erinnerungen. In seinem Weltbestseller „Thinking, Fast and Slow“ beschreibt der Psychologe und Nobelpreisträger Daniel Kahnemann unter anderem das Konzept der zwei Selbste: So haben wir ein erlebendes Selbst, das sich andauernd mit der Frage beschäftigt: „Fühle ich mich gerade wohl oder tut es weh?“ und zugleich ein erinnerndes Selbst, dass die Frage beantwortet: „Wie war es im Großen und Ganzen?“ Kahnemann ist mittlerweile davon überzeugt, dass das eigene Wohlbefinden nicht nur damit zu tun hat, wie es uns mit dem, was wir gerade erleben, geht, sondern dass wir immer auch Urteile und Bewertungen über das bereits Erlebte einfließen lassen. Oder um es mit seinen Worten zu sagen:

„Wir müssen uns mit der Komplexität einer hybriden Sichtweise abfinden, bei der das Wohlbefinden beider Selbste berücksichtigt wird.“

Gehe ich nun davon aus, dass mein Wohlbefinden in der Zukunft sowohl davon abhängt, was ich in Zukunft erleben werde, als auch davon, was ich in der Vergangenheit erlebt habe, dann sollten wir doch alles daransetzen, heute schon positive Erinnerungen zu schaffen, sodass wir morgen eine Welt haben, in der wir uns wohlfühlen können.

Vertrauen lernen

Soweit so gut. Um das Vertrauen in die Zukunft steht es trotzdem noch nicht besser bestellt? Das mag daran liegen, dass wir in die Zukunft gar nicht vertrauen können. Nicht, weil sie sich chaotisch, alles andere als planbar und sicher präsentiert, uns im Gegenteil Rätsel aufgibt und die eine oder andere Sorgenfalte beschert. Das ist eine Tatsache, die wir akzeptieren und mit der wir leben müssen. Der Grund, warum wir der Zukunft nicht vertrauen können, ist, dass Vertrauen immer mit Menschen zu tun hat – mit uns selbst und mit unseren Mitmenschen, vom engsten Familienkreis über entfernt Bekannte bis hin zur Gesellschaft generell. Sowohl das Selbst- als auch das Vertrauen gegenüber anderen ist eng mit Erfahrungswerten verbunden. So haben wir beispielsweise schon früh gelernt, ob wir auf uns selbst und unseren Fähigkeiten und/oder auf andere Menschen bauen können. Vertrauen ist folglich eine erlernte Entscheidung. Und das ist gut, denn somit liegt es erstens an uns, ob wir vertrauen oder nicht. Und zweitens können wir es wieder lernen – sofern uns das Vertrauen abhandengekommen ist.

Hoffnungsvoll ins Morgen

Wenn wir vom Vertrauen in die Zukunft sprechen, geht es also darum, den eigenen Fähigkeiten als auch anderen Menschen zu vertrauen und darauf, dass man gemeinsam den Weg meistern wird. Es gilt, (wieder) Zuversicht zu erlangen und sich beim Gedanken an die Welt von morgen wohl zu fühlen. Das lässt die Hoffnung auf eine gute Zukunft immer noch nicht wachsen, schließlich – so das allgemeine „Totschlagargument“ – weiß niemand, was kommen wird. Befasst man sich aber genauer mit dem Thema Vertrauen, schaut die Sache anders aus.
Der deutsche Philosoph und Soziologe Georg Simmel (1858-1918) beschrieb Vertrauen als einen Zustand zwischen Wissen und Nichtwissen, eine „Hypothese künftigen Verhaltens“, auf die wir konkretes Handeln gründen. Wer vertraut, geht also bewusst und im guten Glauben davon aus, dass man selbst und/oder die Mitmenschen sich so oder so verhalten und dass sich in der Folge eine Sache so entwickelt, wie es versprochen wurde oder wie man es erhofft hat. Ob diese dann tatsächlich so eintritt, ist eine andere Sache und für den ersten vertrauensvollen Schritt gar nicht entscheidend. Viel wichtiger ist, dass wir Vertrauen als ein reißfestes Band begreifen, an dem wir uns auf dem Weg ins Neue, Unbekannte – oder eben in die Zukunft – anhalten und orientieren können, sogar dann, wenn Umstände (noch) unsicher erscheinen. Genauso aber sollten wir uns auch darüber im Klaren sein, dass sich Vertrauen ungeheuer schnell und durch kleinste Dinge zerstören lässt.

Was und wen bringst du mit?

Inwiefern wir anderen Menschen vertrauen (können), ist freilich so eine Sache. Doch uns selbst können oder vielmehr müssen wir auf jeden Fall vertrauen. Mit Blick in die Zukunft bedeutet das, sich seiner Fähigkeiten und Begabungen, seiner Charaktereigenschaften, seiner Werte und Haltungen bewusst zu werden. Diese sind sozusagen die Werkzeuge, die uns helfen, Situationen im Jetzt, aber auch im Morgen zu meistern und anstehende Aufgaben zu lösen.
Also: Über welche Fähigkeiten und Kompetenzen verfügst du? Was kannst du gut? Was kannst du, was viele andere nicht (so gut) können? Welche Kenntnisse und Leidenschaften treiben dich an? Worüber möchtest du immer mehr wissen? Was weckt deine Neugier, deinen Wissensdrang? Womit beschäftigst du dich intensiv – mehr als die meisten Menschen? Welche Werte vertrittst du? Welche Werte sind dir wichtig? Was gibt deinem Leben Sinn und Richtung? Welche Stärke macht dich aus, für welche Tugend stehst du, welche besondere Eigenschaft verkörperst du?
Neben all dem, was wir selbst mitbringen, kommt es auf Beziehungen, auf Gruppen und Gemeinschaften an, denen wir angehören. Womit wir wieder bei den Mitmenschen wären. Denn Tatsache ist: Gemeinsam können wir besser für unsere Interessen eintreten, uns gegenseitig motivieren und uns durch gegenseitiges Vertrauen stärken. Spätestens dann kennen wir des (Kreuzwort-)Rätsels Lösung und wissen, dass „Vertrauen in die Zukunft“ Hoffnung oder Zuversicht oder noch besser beides zusammen bedeutet.

 

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Christiane Mähr,Featured,Vertrauen

Vertrauen wir uns mal selbst – dann der Zukunft

Warum wir gar nicht in die Zukunft vertrauen können, was das mit Ängsten und Sorgen, Erinnerungen und Erlebnissen zu tun hat und warum wir es selbst in der Hand haben, mutig in die Zukunft zu gehen und dabei andere an der Hand nehmen sollten.