Es sollte fixer Bestandteil der unternehmerischen DNA sein, sich Gedanken über die Zukunft zu machen und entsprechend zu handeln. Wie siehst du das?
Ja klar, das sollte so sein. Allerdings wird das viel zu wenig gelebt. Solange man im operativen Geschäft ist, steckt man meist in verschiedenen Mühlen, die morgens bis abends laufen. Ich bin seit mehr als 37 Jahren Unternehmer und habe anfangs viele Jahre sieben Tage die Woche, zehn bis zwölf Stunden täglich gearbeitet. Nach rund zehn Jahren bin ich endlich aus dem täglichen Überlebenskampf herausgekommen und hatte tolle Mitarbeiter, die etliche Aufgaben übernommen haben. Es hat aber noch mal gut zehn Jahre gebraucht, bis ich mich strategisch, mit Zukunftsthemen und auch mit meiner Rolle als Unternehmer befassen konnte.
Damit bist Du nicht alleine. Leider, schließlich vergeht dadurch viel Zeit, in der im Hinblick auf die Zukunft verantwortungslos agiert wird.
Stimmt. Ich sage immer: Wir müssen dringend lernen, in die Welt von Übermorgen zu blicken. Ich spreche gerne von der „Welt von Übermorgen“, denn Zukunft ist für viele zu unscharf, nicht greifbar. Doch egal, wie wir es nennen – klar ist: Wir müssen die Welt von Übermorgen im Blick haben, wenn wir heute Entscheidungen treffen. Unsere Welt verändert sich durch neue Technologien, Digitalisierung und andere gesellschaftliche Prozesse umfassend und irrsinnig schnell. Also müssen wir uns fragen: Was wird übermorgen sein? Macht es noch Sinn, Parkhäuser zu bauen, wenn unser Alltag in zehn Jahren durch selbstfahrende Autos und autonomes Fahren geprägt ist und Mobile keine Parkplätze mehr brauchen?
Klingt für viele wohl eher nach Science-Fiction.
Ein weiteres Problem. Denn wer derartige Zukunftsbilder kommuniziert, wird als Geschichtenerzähler, Fantast oder gar Spinner angefeindet. Dabei müssen wir uns diese und viele andere Fragen stellen. Was wäre, wenn Autos fliegen könnten? Welche Risiken müssten wir beherrschen, welche Chancen nutzen können? Autonome Mobilität wird kommen – auf der Straße und in der Luft. Das ist fix. Nur wann wissen wir nicht endgültig. Aber ich muss vorbereitet sein, wenn es soweit ist. Dadurch wird nämlich ein Prozess angestoßen, der die Welt verändert und mit dem wir uns heute schon beschäftigen müssen.
Automatisierte Autos sparen noch dazu Sprit. Was mich zum nächsten Thema bringt, bei dem Unternehmer Verantwortung übernehmen müssen: die Klimathematik.
Autonomes Fahren, also das Zeitalter der „Schwarmmobilität“, bedeutet vor allem, dass wir den Fahrzeugbestand um ca. 75 bis 80 Prozent reduzieren können. Denn das sind dann keine Stehzeuge mehr, sondern echte Fahrzeuge. Das spart ungeheure Ressourcen. Meiner Meinung nach gibt es neben der Digitalisierung und dem Klimawandel einen weiteren Megatrend – und zwar, dass nachhaltiges Wirtschaften zur Pflicht wird. Jedes Unternehmen muss es schaffen, sein gesamtes Business klimaneutral, nachhaltig und in Form einer Kreislaufwirtschaft zu erbringen. Jeder, der das nicht kann oder will, wird ausscheiden. Einerseits, weil es die Gesellschaft nicht mehr akzeptieren wird. Andererseits, weil globale Konzerne das Versprechen abgegeben haben, bis 2030 oder 2035 klimaneutral zu sein. An sich ist das gut und wichtig. Allerdings lagern sie die Verantwortung dafür in gewisser Weise aus, denn die Produkte dieser Giganten weisen einen marginalen Eigenanteil auf – der größte Teil wird zugeliefert. Damit also Apple und Co. klimaneutral werden können, müssen das auch zigtausende Zulieferer werden, ansonsten fliegen sie aus der Lieferkette. Das haben viele aber noch nicht kapiert.
Eigentlich unverständlich. Abgesehen davon, dass sie ihr Dasein als Zulieferer sichern, würden sie Verantwortung für die Zukunft übernehmen.
Ja, eigentlich unverständlich. Und das Bild von morgen ist ziemlich scharf. Es geht vor allem darum, wann welche Technologie sich durchsetzt. Es ist verständlich, dass manche nur ungern den Ast absägen, auf dem sie schon lange sitzen und mit dem sie gutes Geld verdienen. Da braucht es schon Weitsicht und Mut, auf neue Produkte und Entwicklungen frühzeitig umzusteigen. Und das fällt nicht leicht in einem Land voller Angsthasen. Viele sind aber auch einfach Ignorant.
Wir sind halt Gewohnheitstiere, die neue Dinge nervig finden.
Bei vielen geht es nicht um „nervig“, sondern um Verlustängste. Eine meiner größten Qualitäten als Unternehmer – wenn ich das so sagen darf – war es, mir mindestens einmal im Jahr mit meinem Team anzuschauen, welche unserer heutigen Produkte der Kunde auch morgen noch brauchen wird. Dabei haben wir alles infrage gestellt und uns auch von gut laufenden Geschäftsfeldern getrennt, wenn wir davon überzeugt waren, dass diese sich nicht mehr lange tragen werden. Wir haben das immer ganz bewusst zu einem Zeitpunkt gemacht, in dem dieses oder jenes Produkt noch erfolgreich war und es uns noch gut ging. Steht man erst einmal mit dem Rücken zur Wand, geht das nicht mehr.
Erfolg ist für dich somit der perfekte Zeitpunkt, um weiterzuziehen.
Ja, wobei das in den wenigsten Fällen Entscheidungen waren, die mir leichtgefallen sind. Ein Beispiel: Ich habe unter anderem eine Eventlocation betrieben, bei der wir knapp 65 Prozent der Umsätze mit Party-Events gemacht haben. Im Sommer 2008 haben wir nach einem über zweijährigen Findungsprozess beschlossen: 2009 machen wir keine Partys mehr, sondern setzen auf Unternehmerevents, Hochzeiten usw. Und dann kam die Lehman-Pleite mit der Weltwirtschaftskrise und alle Unternehmensevents brachen plötzlich weg. Da stand ich vor der Frage: Bleibst du bei der Entscheidung, obwohl nicht absehbar ist, wie lange das dauert? Verzichtest du auf über 60 Prozent des Umsatzes, nur weil du vor ein paar Monaten eine Idee hattest? Ich habe daraufhin vier Wochen Tag und Nacht gegrübelt und irgendwann war mir klar: Wir haben jetzt zwei, drei Jahre darüber nachgedacht und wissen es ist die grundlegend richtige Entscheidung. Also wird das auch klappen. Und wir hatten 2009 tatsächlich ein Rekordjahr – mitten in der Wirtschaftskrise.
Heute machst du allerdings keine Events mehr…
Nein. Im März 2020 brach nämlich – „Corona sei Dank“ – wieder alles zusammen. Diesmal allerdings mein ganzes Business. Sprich: Es gab weder Events noch konnte ich Vorträge halten oder Bücher bei Events verkaufen. Anfangs dachten wir ja alle, dass das in ein paar Wochen vorbei ist. Anfang Juni aber war klar: Ich sitze auf einem toten Gaul. Und Mitte Juni habe ich von heute auf morgen beschlossen, die Eventlocation zu schließen. Das fiel mir nicht leicht, schließlich musste ich 50 Leute entlassen, mit denen ich viele Jahre eng und sehr gut zusammengearbeitet habe. Es war die schlimmste unternehmerische Entscheidung, die ich in meinem Leben treffen musste. Doch es war die einzige Möglichkeit, meine Substanz zu retten – und zwar so, dass ich jetzt ein neues Projekt aufbauen kann, das noch besser und größer wird als das alte.
Was ich damit sagen möchte: Als Unternehmer muss man sich häufig neu erfinden – egal, ob man gerade erfolgreich ist oder eben auf einem toten Gaul sitzt. Ohne Innovationsfähigkeit und Verantwortungsbewusstsein für die Welt von Übermorgen geht das gar nicht. Außerdem sollte man immer seinem unternehmerischen Gefühl vertrauen. Und nicht auf das Geschwätz mancher Medien hören.
Vielen Dank für das Gespräch, Jörg!
Zur Person: Jörg Heynkes
Der Unternehmer, Autor und Speaker betrieb viele Jahre eine Eventlocation in Wuppertal. Dann kam Corona und der gelernte Industrie- und Werbefotograf entschied einmal mehr, seine Zukunft selbst in die Hand zu nehmen und so wird aus der VillaMedia Eventlocation nun ein KitaConceptCampus. Sein neues Projekt heißt www.gut-einern.de . Hier bündelt er alle Themen, die ihn in den letzten Jahren beschäftigt haben. Jörg engagiert sich außerdem ehrenamtlich am Projekt „Klimaquartier Arrenberg“ und entwickelt mit einer seiner Firmen die Software zum Betrieb von humanoiden Robotern wie Pepper, der bei seinen Vorträgen häufig an seiner Seite ist. Und ja, Jörg provoziert, ist radikal und unbequem – weil er ungemütliche Fragen stellt, auch an sich selbst.