Richard, du beschäftigst dich mit Zukunftsfragen der Tourismus- und Freizeitwirtschaft. Da frag ich gleich mal: Was bedeutet Zukunft neu denken für dich?
Für mich persönlich bedeutet es, immer die Augen offen zu halten: Was tut sich in meinem Umfeld, aber auch weit über meine eigene Lebenswelt hinaus, in anderen Ländern und Kulturen? Was tut sich bei den nächsten Generationen? Und was könnte das, was ich dort beobachte für mich und meine Zukunft bedeuten? Ich vergleiche das gern mit einem Schwamm, der neue Strömungen aufsaugt.
Im Tourismus ist bzw. sollte das ähnlich sein. Als Gastgeber gilt es, sich den Lebenswelten der Gäste zu öffnen. Wobei es nicht nur um die Stammgäste geht, sondern um jene Gäste, die noch nicht da sind. Warum sind sie nicht da? Welche Sehnsüchte haben sie? Und wie kann ich diese bedienen?
Doch wer sind die Gäste, die noch nicht da sind? Wie finde ich sie?
Dafür gibt es unterschiedliche Wege. Der in meinen Augen nachhaltigste Weg ist jener über die Werteebene. Das heißt: Ein Betrieb oder eine Region überlegt sich, welche Werte sie haben. Dann nämlich kann man jene Gruppen von Menschen aufspüren, die in einer ähnlichen Wertewelt leben und deren Sehnsüchte im Hinblick auf den Urlaub erfüllt werden können.
Und wie erfahren sie davon? Klassische Marketingschienen scheinen nicht mehr zu funktionieren – zumal die Gäste ja oft „überall“ zuhause sind.
Stimmt. Aber nicht nur aus diesem Grund funktionieren klassische Strategien nicht mehr. Konsumenten sind mittlerweile durch alle möglichen Medieneinflüsse extrem abgelenkt und gleichzeitig verunsichert. Täglich prasseln 10.000 und mehr Werbebotschaften auf uns ein. Dabei schenken rund 85 Prozent der Konsumenten all den Marketingversprechungen keinen Glauben mehr. Die Aufnahmekapazitäten der Kunden stoßen an die Grenzen: 98 Prozent der Informationen und Werbebotschaften verpuffen völlig. Dies trifft insbesondere für den Tourismus zu, wo die emotionalsten Kaufentscheidungen getroffen werden. Kein Wunder: Schließlich weiß man als Gast nie, ob das Produkt tatsächlich hält, was die Werbung verspricht. Daher werden Empfehlungen immer wichtiger.
Der Unternehmer muss künftig also kein Geld in Werbung stecken, sondern sich nur mehr um „König Gast“ kümmern, damit er anderen davon erzählt?
Nun, man braucht schon ein Grundrauschen an Kommunikation und einen sauberen Auftritt – online und offline. Ich würde den Gast auch nicht als König bezeichnen, weil der Unternehmer dabei in eine dienende Rolle schlüpft, obwohl er dem Gast eigentlich auf Augenhöhe begegnen sollte. Es geht viel eher um die Frage: Was kann ich als Gastgeber tun, damit der Gast eine gelungene Zeit hat? Denn Fakt ist: Der Gast ist der Botschafter und insofern wesentlich für die Markenkommunikation verantwortlich. Das trifft übrigens auf die Mitarbeiter genauso zu. Die Menschen vertrauen jenen, die schon dort waren – ob als Gast oder eben als Mitarbeiter.
Und wie findet man heraus, welche Sehnsüchte gestillt werden wollen?
Indem man selbst in die Herkunftsländer und -orte der Gäste reist, sich umsieht, wie deren Alltag ausschaut. Auf den alltäglichen Fußspuren des Gastes entdeckt man, was diese im Urlaub brauchen. Manches davon gehört komplett auf den Kopf gestellt. Beim kulinarischen Angebot sollte man hingegen durchaus mit der Zeit gehen und Food-Trends regional spezifisch interpretieren. Im Übrigen werden die Gäste in Zukunft vorwiegend aus dem urbanen Raum kommen, wo eine gewisse Individualität verloren gegangen ist. Auch diese kann man im Urlaub zurückgeben. Wobei an der Stelle betont gehört: Den einen Gast gibt es nicht. Selbst eine Familie oder ein Paar besteht immer aus unterschiedlichen Personen, die allesamt unterschiedliche Interessen haben. Zu glauben, dass man eine Zielgruppe mit einem Produkt und einer Botschaft bedienen kann, wird nicht funktionieren. Die Individualisierung der Gesellschaft ist ein großes Thema. Wenngleich das bedeutet, dass es keine Standardlösungen gibt, ist es meiner Meinung nach eine Riesenchance – gerade für kleine Betriebe.
Ernst Ferstl hat einmal gesagt: „Jede neue Herausforderung ist ein Tor zu neuen Erfahrungen.“ Was also sind weitere Herausforderungen, die Touristiker als Chance sehen sollten?
Eine der größten Herausforderungen ist schon jetzt, dass sich die Gäste im Vorfeld sehr gut über den Gastgeber, den Ort, die Region informieren. Vor Ort braucht er daher keine faktischen Informationen, die er sowieso jederzeit googeln kann oder bereits recherchiert hat. Um Gäste richtig abzuholen, sollte man auf Themen, Betriebe, Veranstaltungen usw. aufmerksam machen, die etwas Besonderes darstellen. Das kann eine kleine Alpsennerei, eine besondere Wanderroute oder ein spezieller Gastrotipp sein – um nur ein paar Beispiele zu nennen.
Wer nämlich versteht, dem Gast emphatisch und hoch emotional zu begegnen, ihn mit jenen Informationen versorgt, die er tatsächlich braucht, und ein Produkt anbietet, das ihn vom Alltag abschalten lässt, hat ihn für sich gewonnen. Die Qualität des Gastgebens rückt in den Vordergrund und hier haben kleinere, familiengeführte Betriebe sicherlich einen Vorteil gegenüber großen Ketten.
Ein gutes Netzwerk aus kleineren, regionalen Betrieben ist wahrscheinlich ebenso sinnvoll.
Unbedingt. Wichtig ist jedoch, dem Gast die Wahlfreiheit zu lassen. Nicht dass er das Gefühl hat, eine To-do-Liste abarbeiten zu müssen.
Vertrauen ist für dich die wichtigste Währung. Gerade in der Tourismus- und Freizeitwirtschaft ist dieses in den letzten 2,5 Jahren allerdings eher abhanden gekommen. Was braucht es, damit sowohl Betriebe als auch Konsumenten dieses wiedergewinnen?
In erster Linie gilt es, dass die Unternehmer in das eigene Produkt vertrauen. Dafür muss es gut sein und das ist der Fall, wenn der Gast bereichert nach Hause fährt und seinen Freunden und Bekannten davon erzählt. Das aber braucht Zeit – so wie Vertrauen immer auch erst wachsen muss. Das funktioniert im Prinzip wie auf einem traditionellen Bauernmarkt – man muss in Vorleistung gehen, ausgezeichnete und authentische Produkte anbieten und dann darauf vertrauen, dass diese weitererzählt werden.
Wenn ich so darüber nachdenke, ist die Tourismusbranche eine Zukunftsbranche par excellence. Taucht der Gast im Urlaub in eine neue Welt ein, wird er zum, wie Du es nennst, alles aufsaugenden Schwamm. Zurück im Alltag kann er davon erzählen und trägt insofern auch dazu bei, dass andere Menschen sich ebenfalls neuen Dingen gegenüber öffnen und sich somit mit der Zukunft auseinandersetzen – unter anderem in jenem Betrieb, dessen Botschaft der Gast nach außen getragen hat.
Richard, ich danke dir für diesen interessanten Blick in die Welt des (Zukunfts-)Tourismus.
Zur Person: Mag. Richard Bauer
… ist seit über 25 Jahren im Tourismus tätig, setzt sich im vertrauensvollen Austausch zusammen mit seinen Kunden mit Zukunftsfragen der Tourismus- und Freizeitwirtschaft auseinander und berät sie hinsichtlich strategischer Ausrichtung, Marketingstrategien und wirtschaftlicher Perspektiven. Er hält außerdem Vorträge, ist Lektor an Hochschulen, Buchautor und Gerichtssachverständiger für Hotellerie, Fremdenverkehrseinrichtungen und Tourismusorganisationen.
www.richardbauer.at