Plattform für verantwortungsvolle und mutige Zukunftslobbyisten

Bettina, du bist Geschäftsführerin der CampusVäre – Creative Institute Vorarlberg in Dornbirn, wo ihr eine 12.000 qm große ehemalige Industriehalle zu einem multifunktionalen Arbeits-, Lehr-, Forschungs- und Lebensraum der Kreativität transformiert. Wie kann man sich das vorstellen?
Wie eine Art Erforschung, Erschließung und Neuentdeckung eines Denkmals Vorarlberger Industriekultur. Bis in die 1970er-Jahre waren diese Hallen der größte Websaal Österreichs, in den Hochzeiten arbeiteten hier an die 3.000 Menschen. Nun ist es unsere Aufgabe, das Areal in einen Arbeits- und Wirtschaftsraum der Zukunft zu transformieren und zugleich Anlaufstelle und Plattform für Kreativwirtschaft, Digitalisierung, Wissenschaft, Bildung, Innovation und Kultur zu werden. Dabei betrachten wir die Hallen neu und lernen, wie wir sie bestmöglich nutzen können – und zwar wortwörtlich „Meter für Meter“. Als wir hier eingezogen sind, waren beispielsweise die Räume, in denen wir heute unser Büro haben seit Jahren unbenutzt. Nachdem wir sie leergeräumt und geputzt hatten, kam eine nahezu intakte Substanz zum Vorschein – bis auf den Internetanschluss. Nach wie vor gibt es aber auch Räumlichkeiten, zu denen man regelrecht vordringen muss, bevor man sie überhaupt nutzen kann. Andere Teile der Hallen sind vermietet, wir alle zusammen ergeben ein sich befruchtendes Biotop und eine gute Mischung an Belebung.

Zeichnet ihr denn auch für die Ansiedlung neuer Mieter verantwortlich?
Unter anderem, ja. Und das zeigt meiner Meinung nach gut, dass die Dinge hier neu und mutig angegangen werden – immerhin sind wir weder Architekten noch Immobilienentwickler, sondern ein Institut für Kreativität, das diese Hallen kuratorisch und inhaltlich neu entwickeln soll. Unser Ansatz ist es, Bestehendes zu erhalten und im Sinne des Urban Minings und der Sekundären Ressourcennutzung im Kreislauf der Verwendung zu halten. Die Stadt Dornbirn geht diesen wichtigen Weg in die Zukunft mit und hat entschieden, die Hallen – anders als ursprünglich geplant – zur Umsetzung unserer Vorhaben zu erhalten. Es ist unsere Aufgabe, die Hallen mit neuem Leben zu füllen, sie zu bespielen und sie zu einem Zentrum für Innovation und Kreativität zu entwickeln. Entsprechend war und ist wichtig, dass Projekte, Ideen und künftige Mieter der Idee der „Werkstatt zur Entwicklung der Zukunft“ folgen. Ein Beispiel: Ein Starbucks würde nicht zur CampusVäre passen, sehr wohl aber eine regional und nachhaltig arbeitende Kaffeerösterei. Das Bekenntnis zum Standort ist im Hinblick auf die Ansiedlungsökonomie künftiger Mieter entscheidend.

Gerade wenn es um die Zukunft geht, kann man zwar Pläne schmieden, Zukunftsbilder und Möglichkeitsräume entwickeln, benötigt allerdings immer Gestaltungsspielraum und die Möglichkeit zum Scheitern und Umkehren.
Exakt. Man kann nicht alles wissen. Aber man kann der Zukunft einen Experimentierraum geben. Disruption hilft dabei ebenso wie Kunst und Kultur. Wenn es etwa darum geht, den Menschen und potenziellen künftigen Mietern die Hallen näherzubringen und sie für den Standort zu begeistern. Hard Facts allein genügen dabei nicht mehr. Eine gute Anbindung, Abstellmöglichkeiten etc. sind Standard. Die Menschen brauchen mehr bzw. wollen inspiriert werden. Entsprechend stellen wir uns bei jeder Weiterentwicklung zuerst die Frage, welche Bedürfnisse künftige Mieter bzw. Nutzer haben. Eine Grundhaltung, die ich übrigens aus meinen bisherigen beruflichen Stationen (u.a. Urbane Künste Ruhr, Museumsquartier Wien, Tabakfabrik Linz, Anm.) mitnehmen durfte. In der Tabakfabrik Linz heißt es etwa: „Wegen Umbau geöffnet“. Das ist doch großartig! Es geht nicht um Perfektion, sondern um das gemeinsame Entstehen lassen von Zukunft.

CampusVäre_Kreativität (© Dietmar Tollerian)
(c) Dietmar Tollerian

Die Umgestaltung einer ehemaligen Industriehalle zu einem Ort der Kreativität kann man ja auch auf die Gesellschaft umlegen. Ich meine: In einer sich derart schnell verändernden Welt, brauchen wir doch eine komplett neue Kultur. Und was wäre da passender als eine Kreativkultur.
Zumal Kreativität der Rohstoff der Zukunft ist. Allerdings brauchen Kreative die richtigen Rahmenbedingungen, um Zukunft schaffen zu können. Und ist nicht jeder kreativ? Kann nicht jeder, neue Dinge erschaffen?

Sofern man mit dem richtigen Mindset an die Sache herangeht, auf jeden Fall.
Ja, wir brauchen ein neues Mindset. Angst vor der Zukunft zu haben, macht keinen Sinn. Ich selbst habe weder Zukunftsängste noch kenne ich für mich und meine Welt realistische Bedrohungsszenarien. Dabei ist natürlich wichtig, dass man sich auf sich selbst verlassen kann. Dann nämlich kann man so viel schaffen und erschaffen. Geht nicht, gibt es in meiner Welt schlichtweg nicht. Wir müssen den Menschen ihre Wirkfähigkeit zurückgeben.

Und wir müssen sie ermutigen, positive Zukunftsbilder zu zeichnen. Ich bin zwar voll bei Dir, dass es keinen Sinn macht, Angst vor der Zukunft zu haben. Viele aber sind kritisch und blicken pessimistisch in die Welt von Morgen und Übermorgen. Daher müssen wir die Menschen zum Diskurs einladen, mit ihnen über Zukunft sprechen und eben positive Zukunftsbilder schaffen.
Das ist auch in der Argumentation gegenüber der Politik von großer Bedeutung. Wenn sich eine Gesellschaft verändert, verändern sich die Systeme ebenso. Was mich so stört ist: Es wird immer mit alten Werkzeugen argumentiert. Dabei können wir einen Computer nicht mit einem Schraubenzieher reparieren. Und einmal mehr ist Kreativität ein wichtiger Asset – womöglich sogar das Asset der Zukunft, auch um einen Standort attraktiv zu machen, vor allem in Zeiten des Fachkräftemangels.

Du hast ja schon einige berufliche Stationen an unterschiedlichen Orten hinter Dir. Was treibt dich an, dich kontinuierlich zu verändern?
Stimmt. Ich habe zwischen verschiedenen interessanten Jobs gewechselt und damit zugleich Wohnort und Gesellschaft. Ich sage immer: Ich liebe es fremd zu sein und heimisch zu werden. Und das beziehe ich auch auf Themen. Vor einigen Jahren fand ich beispielsweise die Digitalisierung noch nicht so interessant. Mittlerweile aber habe ich mich damit beschäftigt und bin davon überzeugt, dass sie uns und unser aller Leben bereichert.
Eine meiner beruflichen Stationen hat mich übrigens ins Ruhrgebiet geführt (Bettina war Teil von RUHR.2010 – Kulturhauptstadt Europas und Urbane Künste Ruhr, Anm.). Bis heute bin ich begeistert davon, wie sehr sich die Menschen dort aufeinander verlassen und wie viel sie damit bewirken können. Das hat vor allem mit der jahrhundertelangen Bergbaugeschichte zu tun: Über Generationen hinweg mussten sich die Kumpel im wahrsten Sinne des Wortes blind aufeinander verlassen. Nach dem Niedergang des Bergbaus waren die Menschen zuerst fassungslos. Und dann entscheiden sie sich, sich für die Kulturhauptstadt zu bewerben – und es hat funktioniert, weil sie gemeinsam angepackt, daran geglaubt haben und auf sich vertrauen konnten. Heute hat sich das Ruhrgebiet zu einer lebendigen Region entwickelt, weil die Menschen an der Transformation beteiligt waren und mitgewirkt haben. Also ja, man kann es schaffen, Dinge zu bewegen und zu verändern – wenn man dazu ermutigt und befähigt wird.

Vielen Dank für das Gespräch, Bettina!

 

Bettina Steindl im Gespräch (© Dietmar Mathis)
(c) Dietmar Mathis

 

Zur Person: Bettina Steindl

…Bettina Steindl ist seit 2020 Geschäftsführerin der CampusVäre – Creative Institute Vorarlberg GmbH am Campus V in Dornbirn. Zuvor hat die gebürtige Tirolerin, die heute im Bregenzerwald zuhause ist und auch an Fachhochschulen und Universitäten unterrichtet, unter anderem in Dornbirn das Bewerbungsbüro zur Kulturhauptstadt Europas 2024 geführt und war Leiterin des designforum Wien.
www.c-i-v.at

 

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Weitere Beiträge

weiter neu denken

Zum Jahresabschluss habe ich mir in einem Feedbackgespräch mit unserer Geschäftsführung gewünscht, dass ich im kommenden Jahr wieder mehr neues lernen möchte. Meinen Horizont erweitern und neue Perspektiven gewinnen möchte. Wer die Zukunft gestalten will, der muss offen für Neues sein – Neues aufsaugen, aufnehmen, inhalieren, die Dinge neu formen. So in etwa stellte ich mir das für 2023 zumindest vor. Irgendwie lebendig, aktiv und vorwärts.
Doch während der Feiertage bin ich in den inneren Diskurs gegangen. Das Jahr 2022 war für mich – um es in einem Wort zu sagen – voll. Voll im Sinne des sprichwörtlichen Fasses, dass nicht nur droht überzulaufen, sondern dies auch tat. Und so war mir plötzlich klar, dass mein Wunsch für 2023 nicht darin besteht, dieses bereits volle Fass weiter aufzufüllen. Vielmehr wünsche ich mir für das anstehende Jahr ein halb volles Fass – wobei die Betonung auf voll liegt, denn halb leer ist keine Option für mich.

Braucht es wirklich mehr?

Ich bin davon überzeugt, dass es viel positiver Energie von uns allen bedarf, eine gute und glückliche Zukunft zu gestalten. Doch wie soll das gehen, wenn wir ständig kurz vor dem Überlaufen stehen? Brauchen wir tatsächlich immer noch mehr Neues? Müssen wir uns wirklich kontinuierlich neues Wissen aneignen? Ist es sinnvoll bzw. erstrebenswert, im Hamsterrad von mehr, mehr und nochmals mehr zu bleiben? 
Meiner Meinung nach nein. Nicht höher, weiter und schneller sollte die Prämisse sein, sondern partizipativer, sinnhafter und empathischer. Achtsamer im Umgang mit unseren Ressourcen – unseren eigenen, die unserer Mitmenschen und die der Erde. Wir stehen vor großen Herausforderungen. Doch müssen wir Neues lernen, um diese Herausforderungen zu meistern und zu bestehen.

Verlernen, um zu lernen

Ich habe meine Zweifel und frage mich, ob wir nicht lieber verlernen sollten? Ein Verlernen von Glaubenssätzen, von Paradigmen, von „das haben wir schon immer so gemacht“. Können wir durch aktives Verlernen Raum für neue Perspektiven schaffen, Bilder einer Zukunft, die frei von den Grenzen der eigenen erlernten Kultur ist? Frei von den Grenzen im Denken der Möglichkeiten?
Je mehr ich darüber nachgedacht habe (und nach wie vor nachdenke), umso einfacher erscheint es mir, Neues zu lernen, als Bestehendes und Gewohntes zu verlernen. Und wer weiß: Vielleicht bietet gerade das Verlernen bzw. der Prozess des Verlernens ungeahnte Möglichkeiten für Veränderungen, Wandel und neue Erfahrungen?
Für mich ist Lernen Gegenwart. Verlernen ist Zukunft. Und lernen zu verlernen, um dabei zu lernen, ist Zukunftsgestaltung.

Über die Autorin…

Janina Clever leitet als Industrie Designerin bei Generationdesign in Wuppertal komplexe Design- und Strategieprojekte. Die studierte Arbeits- und Organisationspsychologin setzt auf nachhaltigen Mehrwert und Nutzen, der durch agile und interdisziplinäre Austauschformate und Arbeitsmethoden entsteht. Dabei sieht sie in der Fusion von digitalen und realen Formaten für die Zukunft noch unentdeckte Potenziale. Janina Clever ist außerdem Teil des Zukunftsrates von Zukunft Neu Denken.

 

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Müssen wir lernen zu verlernen?

Lebenslanges Lernen ist in aller Munde. Janina Clever aber fragt sich: Müssen wir tatsächlich immer mehr wissen? Oder sollten wir nicht lieber lernen zu verlernen?

2.562 Menschen starben 2021 auf Deutschlands Straßen, in Österreich waren es 359. In den meisten Fällen sind diese auf nicht angepasste Fahrgeschwindigkeit, Unachtsamkeit bzw. Ablenkung und Vorrangverletzung zurückzuführen. Mit anderen Worten: Verkehrsunfälle haben meist eines gemeinsam – nämlich menschliches Fehlverhalten. Und das lässt sich ändern. Schon durch das Einhalten von Tempolimits und sonstigen Vorschriften sowie durch kontrolliertes und achtsames Fahren könnte dazu beigetragen werden, dass sich die Zahl der Verletzten und Toten im Straßenverkehr deutlich reduziert. Und nicht zuletzt könnte jeder einzelne für die eigene Sicherheit sorgen. Denn Tatsache ist: Hinter jedem Steuer stecken Menschen und Geschichten.

Crash-Kurs

In der Verkehrspolitik spielt das Thema Verkehrssicherheit europaweit eine wichtige Rolle. So wurden beispielsweise Maßnahmen festgelegt, um bereits bei der Fahrzeugherstellung besonders gefährliche Stoffe zu vermeiden und die Wiederverwendung sowie Verwertung von Fahrzeugen mit Totalschaden und deren Bauteile zu intensivieren. Ein von der Versicherung festgestellter (wirtschaftlicher) Totalschaden bedeutet also nicht automatisch, dass das Fahrzeug Schrott ist. Schließlich besteht ein Auto aus rund 10.000 Einzelteilen, die von Hersteller zu Hersteller unterschiedlich sind. Universal-Teile gibt es nicht, was ein Crash-Fahrzeug in gewisser Weise zum begehrten Ersatzteillager macht. Das am häufigsten ausgebaute Ersatzteil, bevor ein Auto verschrottet wird, ist übrigens der Katalysator, in dem sich unter anderem seltene Metalle befinden.

Eine Frage der Mobilität

Die Frage aber ist nicht nur, was passiert mit geschredderten Fahrzeugteilen – die werden sortiert und weiterverarbeitet. Sondern auch: Was passiert mit dem Menschen, der hinter dem Steuer gesessen hat – egal, ob sein Auto aufgrund eines Unfalls auf dem Schrottplatz gelandet ist oder schlichtweg, weil es nicht mehr zugelassen werden konnte? Steht das neue, noch größere, noch schnellere, noch bessere Fahrzeug bereits in der Garage? Oder setzt man auf einen kleineren Straßenflitzer, auf E-, Hybrid- oder eine andere Alternative? Oder kommt man sogar ohne Auto durchs Leben? Steigt man möglicherweise auf ein motorisiertes Zweirad um oder tritt man gar in die Pedale? Und wie schaut es mit den Öffis aus?
Um all die Fragen auf einen Punkt zu bringen: Was braucht es, damit Mobilität in Zukunft anders gedacht wird bzw. werden kann?

 

Über den Fotografen

Die Bilder wurden von Bence Szalai aufgenommen. Der Fotograf und Filmemacher möchte den Blick des Betrachters auf die Details lenken. Er sieht seine Arbeit als das Radio, den Schallplattenspieler oder den Lautsprecher, über den die Musik abgespielt bzw. gehört wird und dessen Qualität das Hörerlebnis maßgeblich beeinflusst.
www.rnbpictures.com

 

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Disconnect,Fotostrecke

Nur ein Kratzer: Mobilität nach dem Schrottplatz

Hinter jedem Steuer steckt eine Geschichte. Warum ein Crash-Car mehr als nur Schrott ist und wieso wir Mobilität neu denken sollten. Eine Fotostrecke von Bence Szalai.

Im Kreuzworträtsel hat das Vertrauen in die Zukunft acht, manchmal zehn Buchstaben. Im echten Leben benötigen wir dafür wesentlich mehr Buchstaben. Und immer öfter fehlen uns die Worte, wenn es darum geht, vertrauensvoll in die Welt von morgen zu schauen. Das zeigte etwa eine im Frühjahr 2022 vom SORA-Institut durchgeführte Umfrage unter rund 24.000 jungen Österreichern zwischen 16 und 25 Jahren. Diese nämlich ergab, dass es nicht gerade zum Besten steht mit dem Vertrauen in die Zukunft. Vor allem der Krieg in der Ukraine (84 %) bereitet der Generation Z Sorgen, aber auch der Klimawandel (67 %), die immer breiter werdende Schere zwischen Arm und Reich (59 %) sowie Pandemie und Wirtschaftskrise (jeweils 55 %). Dass dabei nur wenig Vertrauen in die Zukunft aufkommt, habe laut Umfrage insbesondere damit zu tun, dass wir bei den großen Zukunftsthemen – von der zunehmenden ökonomischen Ungleichheit über den Klimawandel bis hin zur Pflegeproblematik, Energiewende und Bildung – schlecht unterwegs sind. Wobei mit „wir“ eigentlich die Politik gemeint ist, denn diese handle schon seit Jahren zu kurzfristig und zu populistisch, sind 88 % der Befragten überzeugt.
Dass auch andere Generationen – ob Y, X, Babyboomer oder wie sie sonst noch so heißen – eher misstrauisch in Richtung Zukunft schielen, bedarf wohl keiner weiteren Umfragen. Doch wäre es zu kurz gedacht, den politischen Entscheidungsträgern den schwarzen Peter zuzuschieben, sich zurückzulehnen und abwartend Däumchen zu drehen. Zum einen, weil es nicht so ausschaut, als würde sich die Politik alsbald und voller Tatendrang um die anstehenden Herausforderungen bemühen. Und zum anderen ist es nicht nur Aufgabe der Politik, sich um Lösungen für die aktuellen Probleme zu bemühen. Dessen sind sich die Jungen übrigens durchaus bewusst: So sind 71 % der Meinung, dass wir alle unseren Lebensstil verändern müssen, um beispielsweise den Klimawandel zu bekämpfen.

Es liegt an uns selbst

Dass wir das Ruder selbst herumreißen, Verantwortung übernehmen und mutig (voran)gehen können, stimmt positiv – zumindest mich. Eine entscheidende Rolle spielt dabei allerdings das Vertrauen. Dieses sorgt nämlich unter anderem dafür, dass wir uns wohlfühlen und zuversichtlich sind. Was aber, wenn man sich eben hinsichtlich der Zukunft mit dem Vertrauen schwertut? Wie soll man Zuversicht schöpfen, wenn einen nur mehr Sorgen und Ängste plagen? Wie soll man sich wohlfühlen, wenn sich alles nur noch schlecht anfühlt?
Was das Wohlbefinden angeht, sollten wir wissen, dass dieses weniger mit dem zusammenhängt, was kommt, als vielmehr mit dem, was ist und was war – also mit den aktuellen Erlebnissen sowie mit unseren Erinnerungen. In seinem Weltbestseller „Thinking, Fast and Slow“ beschreibt der Psychologe und Nobelpreisträger Daniel Kahnemann unter anderem das Konzept der zwei Selbste: So haben wir ein erlebendes Selbst, das sich andauernd mit der Frage beschäftigt: „Fühle ich mich gerade wohl oder tut es weh?“ und zugleich ein erinnerndes Selbst, dass die Frage beantwortet: „Wie war es im Großen und Ganzen?“ Kahnemann ist mittlerweile davon überzeugt, dass das eigene Wohlbefinden nicht nur damit zu tun hat, wie es uns mit dem, was wir gerade erleben, geht, sondern dass wir immer auch Urteile und Bewertungen über das bereits Erlebte einfließen lassen. Oder um es mit seinen Worten zu sagen:

„Wir müssen uns mit der Komplexität einer hybriden Sichtweise abfinden, bei der das Wohlbefinden beider Selbste berücksichtigt wird.“

Gehe ich nun davon aus, dass mein Wohlbefinden in der Zukunft sowohl davon abhängt, was ich in Zukunft erleben werde, als auch davon, was ich in der Vergangenheit erlebt habe, dann sollten wir doch alles daransetzen, heute schon positive Erinnerungen zu schaffen, sodass wir morgen eine Welt haben, in der wir uns wohlfühlen können.

Vertrauen lernen

Soweit so gut. Um das Vertrauen in die Zukunft steht es trotzdem noch nicht besser bestellt? Das mag daran liegen, dass wir in die Zukunft gar nicht vertrauen können. Nicht, weil sie sich chaotisch, alles andere als planbar und sicher präsentiert, uns im Gegenteil Rätsel aufgibt und die eine oder andere Sorgenfalte beschert. Das ist eine Tatsache, die wir akzeptieren und mit der wir leben müssen. Der Grund, warum wir der Zukunft nicht vertrauen können, ist, dass Vertrauen immer mit Menschen zu tun hat – mit uns selbst und mit unseren Mitmenschen, vom engsten Familienkreis über entfernt Bekannte bis hin zur Gesellschaft generell. Sowohl das Selbst- als auch das Vertrauen gegenüber anderen ist eng mit Erfahrungswerten verbunden. So haben wir beispielsweise schon früh gelernt, ob wir auf uns selbst und unseren Fähigkeiten und/oder auf andere Menschen bauen können. Vertrauen ist folglich eine erlernte Entscheidung. Und das ist gut, denn somit liegt es erstens an uns, ob wir vertrauen oder nicht. Und zweitens können wir es wieder lernen – sofern uns das Vertrauen abhandengekommen ist.

Hoffnungsvoll ins Morgen

Wenn wir vom Vertrauen in die Zukunft sprechen, geht es also darum, den eigenen Fähigkeiten als auch anderen Menschen zu vertrauen und darauf, dass man gemeinsam den Weg meistern wird. Es gilt, (wieder) Zuversicht zu erlangen und sich beim Gedanken an die Welt von morgen wohl zu fühlen. Das lässt die Hoffnung auf eine gute Zukunft immer noch nicht wachsen, schließlich – so das allgemeine „Totschlagargument“ – weiß niemand, was kommen wird. Befasst man sich aber genauer mit dem Thema Vertrauen, schaut die Sache anders aus.
Der deutsche Philosoph und Soziologe Georg Simmel (1858-1918) beschrieb Vertrauen als einen Zustand zwischen Wissen und Nichtwissen, eine „Hypothese künftigen Verhaltens“, auf die wir konkretes Handeln gründen. Wer vertraut, geht also bewusst und im guten Glauben davon aus, dass man selbst und/oder die Mitmenschen sich so oder so verhalten und dass sich in der Folge eine Sache so entwickelt, wie es versprochen wurde oder wie man es erhofft hat. Ob diese dann tatsächlich so eintritt, ist eine andere Sache und für den ersten vertrauensvollen Schritt gar nicht entscheidend. Viel wichtiger ist, dass wir Vertrauen als ein reißfestes Band begreifen, an dem wir uns auf dem Weg ins Neue, Unbekannte – oder eben in die Zukunft – anhalten und orientieren können, sogar dann, wenn Umstände (noch) unsicher erscheinen. Genauso aber sollten wir uns auch darüber im Klaren sein, dass sich Vertrauen ungeheuer schnell und durch kleinste Dinge zerstören lässt.

Was und wen bringst du mit?

Inwiefern wir anderen Menschen vertrauen (können), ist freilich so eine Sache. Doch uns selbst können oder vielmehr müssen wir auf jeden Fall vertrauen. Mit Blick in die Zukunft bedeutet das, sich seiner Fähigkeiten und Begabungen, seiner Charaktereigenschaften, seiner Werte und Haltungen bewusst zu werden. Diese sind sozusagen die Werkzeuge, die uns helfen, Situationen im Jetzt, aber auch im Morgen zu meistern und anstehende Aufgaben zu lösen.
Also: Über welche Fähigkeiten und Kompetenzen verfügst du? Was kannst du gut? Was kannst du, was viele andere nicht (so gut) können? Welche Kenntnisse und Leidenschaften treiben dich an? Worüber möchtest du immer mehr wissen? Was weckt deine Neugier, deinen Wissensdrang? Womit beschäftigst du dich intensiv – mehr als die meisten Menschen? Welche Werte vertrittst du? Welche Werte sind dir wichtig? Was gibt deinem Leben Sinn und Richtung? Welche Stärke macht dich aus, für welche Tugend stehst du, welche besondere Eigenschaft verkörperst du?
Neben all dem, was wir selbst mitbringen, kommt es auf Beziehungen, auf Gruppen und Gemeinschaften an, denen wir angehören. Womit wir wieder bei den Mitmenschen wären. Denn Tatsache ist: Gemeinsam können wir besser für unsere Interessen eintreten, uns gegenseitig motivieren und uns durch gegenseitiges Vertrauen stärken. Spätestens dann kennen wir des (Kreuzwort-)Rätsels Lösung und wissen, dass „Vertrauen in die Zukunft“ Hoffnung oder Zuversicht oder noch besser beides zusammen bedeutet.

 

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Christiane Mähr,Featured,Vertrauen

Vertrauen wir uns mal selbst – dann der Zukunft

Warum wir gar nicht in die Zukunft vertrauen können, was das mit Ängsten und Sorgen, Erinnerungen und Erlebnissen zu tun hat und warum wir es selbst in der Hand haben, mutig in die Zukunft zu gehen und dabei andere an der Hand nehmen sollten.