Plattform für verantwortungsvolle und mutige Zukunftslobbyisten

Land schafft Leben ist österreichischen Lebensmitteln auf der Spur. Werdet ihr künftig also auch in Fleisch-Laboren und Gemüse-Hochhäusern unterwegs sein oder 3D-Drucker unter die Lupe nehmen, die Lebensmittel aufbereiten? 
Wenn es das ist, was wir in Zukunft essen, werden wir dem Essen dort auf der Spur sein. Ob es tatsächlich soweit kommt, dass Lebensmittel nur mehr im Labor gefertigt werden, wird sich natürlich zeigen. Aktuell betreiben wir in Österreich immer noch vor dem Hintergrund Landwirtschaft, dass auch Lebens- und Kulturraum gestaltet wird, während wir uns die Natur für die Herstellung von Lebensmitteln zunutze machen.

Die Frage ist halt, ob es sich bei der großen Nachfrage ausgeht, dass Lebensmittel in Zukunft ohne industrielle Fertigung produziert werden können. Ich meine: In den wohl meisten Fällen kommt das, was wir essen, halt nicht von glücklichen Viechern, die man in der Werbung sieht, sondern von Großbauern mit riesigen Stallungen und Ackerflächen.
Sagen wir so: Es ist immer wichtig zu hinterfragen, woher die Informationen kommen und ob sie auch die heimische Landwirtschaft betreffen. Immerhin werden Lebensmittel nicht überall gleich produziert, das macht es ja so spannend. Zudem ist die Welt nie nur schwarz und weiß. Die eine Seite nimmt ausschließlich Negativberichte und Skandale wahr. Das führt dann dazu, dass man sich all dem komplett entziehen möchte, etwa indem man gar kein Fleisch mehr konsumiert. Auf der anderen Seite gibt es jene, die alles schönreden. Und wenn wir uns ausschließlich an der Werbung orientieren, besteht – anscheinend – wirklich kein Handlungsbedarf. Doch Fakt ist: Die Realität liegt zwischen diesen Extrempositionen. Und wenn wir uns für die Zukunft ausrichten wollen, müssen wir die Ist-Situation auch korrekt abbilden. Nur so können wir Eigenverantwortung übernehmen und etwas verändern. Und das können wir – meiner Meinung nach können wir sogar mit allem, was wir tun, Zukunft gestalten.

Dafür allerdings müssen wir wissen, was wir essen…
Genau. Und deshalb bemühen wir uns, dieses Wissen zu vermitteln. Leider gibt es nämlich ganz viel Halbwissen, aus dem viele ihre Meinung bilden. Es werden zum Teil Kampagnen gefahren, um den Menschen zu sagen, was falsch und was richtig ist. Aber wer entscheidet das? Land schafft Leben gibt es nun seit über acht Jahren und mittlerweile weiß ich, dass nichts ganz eindeutig in richtig oder falsch eingeteilt werden kann. Es ist wichtig, dass Menschen sich wieder eine eigene Meinung auf Basis von transparenten Informationen bilden. Wir wollen niemandem eine Meinung überstülpen. Es geht ausschließlich darum, dass jeder die Sicht auf die reale Ist-Situation hat und in der Folge Eigenverantwortung übernehmen und bewusste Konsumentscheidungen treffen kann. Letztlich geht es um den bewussten Griff ins Regal.

Und dabei sollten wir möglichst zu Bioprodukten greifen?
Gute Frage. Noch vor einigen Jahren hätte ich ganz klar mit Ja geantwortet. Tatsache ist: Ja, eine kleinstrukturierte ökologische Landwirtschaft ist unter anderem gut für die Biodiversität. Eine intensivere Landwirtschaft kann im Vergleich ihre Flächen und Ressourcen oft effizienter nutzen. Das ist genauso gut für Umwelt und Klima, weil sie objektiv betrachtet weniger Fläche für die produzierten Lebensmittel verbraucht. Auch der Effizienzgedanke sollte also in der Landwirtschaft Platz finden dürfen. Und nicht immer ist die biologische Produktion gegenüber der konventionellen klar im Vorteil.
Bis vor ein paar Jahren hätte ich gesagt: Das kann nicht sein. Einfach weil ich es nicht wahrhaben wollte. Und warum ist das so? Weil wir so mit einseitigem Halbwissen gefüttert wurden und werden, dass wir nicht mehr wissen, was die Realität ist. Bei Land schafft Leben geht es um den ökoeffizienten Gedanken – und zwar in jeder Hinsicht. Nicht um richtig oder falsch, nicht um guter Bauer versus böser Bauer, gute Freilandhaltung versus schlechte Massentierhaltung. Wobei es Letztere in Österreich gar nicht gibt.

 

Einkaufswagen voll Lebensmittel (© Land schafft Leben)
Welche Werte legst du in deinen Einkaufswagen? (© Land schafft Leben)

Wirklich? Wir haben keine Ställe mit tausenden von Viechern?
Hier müssen wir uns die Frage stellen: Was ist Massentierhaltung? Die größten Schweineställe in Österreich haben nicht ganz 2.000 Schweine, in Deutschland sind es 20.000, in China fünf Millionen. Die für mich größte Erkenntnis war allerdings, als wir uns mit der Zuckerrübe auseinandergesetzt haben und die Biozuckerernte filmen wollten. In mehreren Anbauanläufen konnte keine einzige Ernte eingefahren werden, weil die Bauern gewisser Schädlinge einfach nicht Herr werden konnten. Ein konventioneller Betrieb sät und hat die Möglichkeit, bei Schädlingsdruck ein Pflanzenschutzmittel anzuwenden. Das ist ein wichtiger Beitrag, um Ernteausfälle zu verhindern. Ein Bio-Betrieb kann Unkräuter mechanisch entfernen oder ein für den Bio-Bereich zugelassenes Pflanzenschutzmittel ausbringen. Hier sind oft mehrere Überfahrten für eine entsprechende Wirksamkeit notwendig. Wenn am Ende null Kalorien produziert wurden, weil keine der Methoden funktioniert hat, ist das nicht nur wirtschaftlich betrachtet, sondern auch aus ökologischer Sicht ein Wahnsinn. Bei Kartoffeln haben wir im Biobereich vergleichsweise oft bis zu 50 Prozent weniger Ertrag. Dennoch nimmt die Gesellschaft die biologische Landwirtschaft gern als positiv und die konventionelle Landwirtschaft als eher negativ wahr.

Warum ist es auch im Hinblick auf die Welt von morgen so wichtig, dass wir mehr darüber wissen, was bei uns auf den Teller kommt?
Zum einen natürlich wegen der eigenen Gesundheit. Im Westen haben wir ja das Phänomen, dass wir übergewichtig und zugleich unterernährt sind. Wir kaufen Fertigprodukte und wundern uns, dass wir nach dem Essen immer noch Hunger haben und sogar zunehmen. Wir müssen uns aber nicht nur um uns und den eigenen Körper kümmern, sondern auch um unseren Lebensraum. Als Konsument ist es wichtig zu wissen: Wofür stehe ich? Was sind meine Werte? Und welche lege ich mir in den Einkaufswagen? Muss ich ausschließlich auf meinen Vorteil schauen oder betrachte ich es ganzheitlich? Ich kann nicht von allem mehr konsumieren, eine höhere Qualität bzw. alles in Bioqualität verlangen und gleichzeitig einen niedrigen Preis fordern. Klar ist der Preis ein Wert und für manche ist er eben entscheidend. Für andere hingegen stehen Tierwohl, Erhalt des Lebensraums oder Menschenrechte im Vordergrund. All das kann ich mir in den Korb legen – vorausgesetzt ich verfüge über das nötige Wissen. Ja, wir nutzen die Natur fürs Überleben, das war immer schon so. Doch wir müssen es in Kreisläufen denken entsprechend bewusste Konsumentscheidungen treffen. Das ist für mich Zukunft neu denken.
 
Zukunft neu denken bedeutet für Dich also, dass der Konsument sich wieder als Teil der Kreislaufwirtschaft sieht?
Ja. Und das fängt schon damit an, dass man sich fragt: Was und wie viel brauche ich wirklich? Lebensmittelverschwendung ist ein Riesenthema. Im Schnitt landen in Österreichs Haushalten pro Jahr fast 58 Kilo genießbare Lebensmittel und Speisereste im Müll. Wir sind nicht nur eine Verbraucher-, sondern mehr noch eine Wegwerfgesellschaft. Das ist auch ein großes Bildungsthema. Es freut uns sehr, dass mehr und mehr Schulen unser Arbeitsmaterial zu Lebensmittelwissen, Ernährungsbildung und Konsumkompetenz in Anspruch nehmen. Denn die nächste Generation ist sehr daran interessiert, Eigenverantwortung zu übernehmen. Kinder und Jugendliche haben Spaß daran, sich das Essen dienlich zu machen, insofern als sie sich damit auseinandersetzen, was dem Körper dient und wie man sich den eigenen Lebensraum schmackhaft und nachhaltig nutzbar machen kann. Im Prinzip sind wir die Avatare des Lebens: Wir können unseren Körper, unseren Lebensraum und damit auch unsere Zukunft modellieren – vorausgesetzt wir verfügen über Wissen, übernehmen (wieder) Eigenverantwortung und bewahren uns unsere Neugier.

Vielen Dank für das interessante Gespräch, Maria. Wir freuen uns schon auf den Talk am 17. November in Dornbirn.

 

Maria Fanninger (© Land schafft Leben)
Maria Fanninger (© Land schafft Leben)

Zur Person: Mag. Maria Fanninger

…ist Mitbegründerin und Vorständin von Land schafft Leben, die sich auf die Spuren heimischer Lebensmittel machen. Maria befasst sich vor allem mit den Themen Bildung und Ernährung, wobei es der studierten Wirtschaftspädagogin besonders darum geht, den Menschen die Eigenverantwortung in vielen Bereichen ihres Lebens bewusst zu machen. Denn für Maria gilt: Nur wer Verantwortung übernimmt, kann auch (Zukunft) gestalten, ganz besonders, wenn es um Gesundheit, Ernährung und Konsum geht.
www.landschafftleben.at

 

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Weitere Beiträge

weiter neu denken

Zum Jahresabschluss habe ich mir in einem Feedbackgespräch mit unserer Geschäftsführung gewünscht, dass ich im kommenden Jahr wieder mehr neues lernen möchte. Meinen Horizont erweitern und neue Perspektiven gewinnen möchte. Wer die Zukunft gestalten will, der muss offen für Neues sein – Neues aufsaugen, aufnehmen, inhalieren, die Dinge neu formen. So in etwa stellte ich mir das für 2023 zumindest vor. Irgendwie lebendig, aktiv und vorwärts.
Doch während der Feiertage bin ich in den inneren Diskurs gegangen. Das Jahr 2022 war für mich – um es in einem Wort zu sagen – voll. Voll im Sinne des sprichwörtlichen Fasses, dass nicht nur droht überzulaufen, sondern dies auch tat. Und so war mir plötzlich klar, dass mein Wunsch für 2023 nicht darin besteht, dieses bereits volle Fass weiter aufzufüllen. Vielmehr wünsche ich mir für das anstehende Jahr ein halb volles Fass – wobei die Betonung auf voll liegt, denn halb leer ist keine Option für mich.

Braucht es wirklich mehr?

Ich bin davon überzeugt, dass es viel positiver Energie von uns allen bedarf, eine gute und glückliche Zukunft zu gestalten. Doch wie soll das gehen, wenn wir ständig kurz vor dem Überlaufen stehen? Brauchen wir tatsächlich immer noch mehr Neues? Müssen wir uns wirklich kontinuierlich neues Wissen aneignen? Ist es sinnvoll bzw. erstrebenswert, im Hamsterrad von mehr, mehr und nochmals mehr zu bleiben? 
Meiner Meinung nach nein. Nicht höher, weiter und schneller sollte die Prämisse sein, sondern partizipativer, sinnhafter und empathischer. Achtsamer im Umgang mit unseren Ressourcen – unseren eigenen, die unserer Mitmenschen und die der Erde. Wir stehen vor großen Herausforderungen. Doch müssen wir Neues lernen, um diese Herausforderungen zu meistern und zu bestehen.

Verlernen, um zu lernen

Ich habe meine Zweifel und frage mich, ob wir nicht lieber verlernen sollten? Ein Verlernen von Glaubenssätzen, von Paradigmen, von „das haben wir schon immer so gemacht“. Können wir durch aktives Verlernen Raum für neue Perspektiven schaffen, Bilder einer Zukunft, die frei von den Grenzen der eigenen erlernten Kultur ist? Frei von den Grenzen im Denken der Möglichkeiten?
Je mehr ich darüber nachgedacht habe (und nach wie vor nachdenke), umso einfacher erscheint es mir, Neues zu lernen, als Bestehendes und Gewohntes zu verlernen. Und wer weiß: Vielleicht bietet gerade das Verlernen bzw. der Prozess des Verlernens ungeahnte Möglichkeiten für Veränderungen, Wandel und neue Erfahrungen?
Für mich ist Lernen Gegenwart. Verlernen ist Zukunft. Und lernen zu verlernen, um dabei zu lernen, ist Zukunftsgestaltung.

Über die Autorin…

Janina Clever leitet als Industrie Designerin bei Generationdesign in Wuppertal komplexe Design- und Strategieprojekte. Die studierte Arbeits- und Organisationspsychologin setzt auf nachhaltigen Mehrwert und Nutzen, der durch agile und interdisziplinäre Austauschformate und Arbeitsmethoden entsteht. Dabei sieht sie in der Fusion von digitalen und realen Formaten für die Zukunft noch unentdeckte Potenziale. Janina Clever ist außerdem Teil des Zukunftsrates von Zukunft Neu Denken.

 

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Müssen wir lernen zu verlernen?

Lebenslanges Lernen ist in aller Munde. Janina Clever aber fragt sich: Müssen wir tatsächlich immer mehr wissen? Oder sollten wir nicht lieber lernen zu verlernen?

2.562 Menschen starben 2021 auf Deutschlands Straßen, in Österreich waren es 359. In den meisten Fällen sind diese auf nicht angepasste Fahrgeschwindigkeit, Unachtsamkeit bzw. Ablenkung und Vorrangverletzung zurückzuführen. Mit anderen Worten: Verkehrsunfälle haben meist eines gemeinsam – nämlich menschliches Fehlverhalten. Und das lässt sich ändern. Schon durch das Einhalten von Tempolimits und sonstigen Vorschriften sowie durch kontrolliertes und achtsames Fahren könnte dazu beigetragen werden, dass sich die Zahl der Verletzten und Toten im Straßenverkehr deutlich reduziert. Und nicht zuletzt könnte jeder einzelne für die eigene Sicherheit sorgen. Denn Tatsache ist: Hinter jedem Steuer stecken Menschen und Geschichten.

Crash-Kurs

In der Verkehrspolitik spielt das Thema Verkehrssicherheit europaweit eine wichtige Rolle. So wurden beispielsweise Maßnahmen festgelegt, um bereits bei der Fahrzeugherstellung besonders gefährliche Stoffe zu vermeiden und die Wiederverwendung sowie Verwertung von Fahrzeugen mit Totalschaden und deren Bauteile zu intensivieren. Ein von der Versicherung festgestellter (wirtschaftlicher) Totalschaden bedeutet also nicht automatisch, dass das Fahrzeug Schrott ist. Schließlich besteht ein Auto aus rund 10.000 Einzelteilen, die von Hersteller zu Hersteller unterschiedlich sind. Universal-Teile gibt es nicht, was ein Crash-Fahrzeug in gewisser Weise zum begehrten Ersatzteillager macht. Das am häufigsten ausgebaute Ersatzteil, bevor ein Auto verschrottet wird, ist übrigens der Katalysator, in dem sich unter anderem seltene Metalle befinden.

Eine Frage der Mobilität

Die Frage aber ist nicht nur, was passiert mit geschredderten Fahrzeugteilen – die werden sortiert und weiterverarbeitet. Sondern auch: Was passiert mit dem Menschen, der hinter dem Steuer gesessen hat – egal, ob sein Auto aufgrund eines Unfalls auf dem Schrottplatz gelandet ist oder schlichtweg, weil es nicht mehr zugelassen werden konnte? Steht das neue, noch größere, noch schnellere, noch bessere Fahrzeug bereits in der Garage? Oder setzt man auf einen kleineren Straßenflitzer, auf E-, Hybrid- oder eine andere Alternative? Oder kommt man sogar ohne Auto durchs Leben? Steigt man möglicherweise auf ein motorisiertes Zweirad um oder tritt man gar in die Pedale? Und wie schaut es mit den Öffis aus?
Um all die Fragen auf einen Punkt zu bringen: Was braucht es, damit Mobilität in Zukunft anders gedacht wird bzw. werden kann?

 

Über den Fotografen

Die Bilder wurden von Bence Szalai aufgenommen. Der Fotograf und Filmemacher möchte den Blick des Betrachters auf die Details lenken. Er sieht seine Arbeit als das Radio, den Schallplattenspieler oder den Lautsprecher, über den die Musik abgespielt bzw. gehört wird und dessen Qualität das Hörerlebnis maßgeblich beeinflusst.
www.rnbpictures.com

 

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Nur ein Kratzer: Mobilität nach dem Schrottplatz

Hinter jedem Steuer steckt eine Geschichte. Warum ein Crash-Car mehr als nur Schrott ist und wieso wir Mobilität neu denken sollten. Eine Fotostrecke von Bence Szalai.

Im Kreuzworträtsel hat das Vertrauen in die Zukunft acht, manchmal zehn Buchstaben. Im echten Leben benötigen wir dafür wesentlich mehr Buchstaben. Und immer öfter fehlen uns die Worte, wenn es darum geht, vertrauensvoll in die Welt von morgen zu schauen. Das zeigte etwa eine im Frühjahr 2022 vom SORA-Institut durchgeführte Umfrage unter rund 24.000 jungen Österreichern zwischen 16 und 25 Jahren. Diese nämlich ergab, dass es nicht gerade zum Besten steht mit dem Vertrauen in die Zukunft. Vor allem der Krieg in der Ukraine (84 %) bereitet der Generation Z Sorgen, aber auch der Klimawandel (67 %), die immer breiter werdende Schere zwischen Arm und Reich (59 %) sowie Pandemie und Wirtschaftskrise (jeweils 55 %). Dass dabei nur wenig Vertrauen in die Zukunft aufkommt, habe laut Umfrage insbesondere damit zu tun, dass wir bei den großen Zukunftsthemen – von der zunehmenden ökonomischen Ungleichheit über den Klimawandel bis hin zur Pflegeproblematik, Energiewende und Bildung – schlecht unterwegs sind. Wobei mit „wir“ eigentlich die Politik gemeint ist, denn diese handle schon seit Jahren zu kurzfristig und zu populistisch, sind 88 % der Befragten überzeugt.
Dass auch andere Generationen – ob Y, X, Babyboomer oder wie sie sonst noch so heißen – eher misstrauisch in Richtung Zukunft schielen, bedarf wohl keiner weiteren Umfragen. Doch wäre es zu kurz gedacht, den politischen Entscheidungsträgern den schwarzen Peter zuzuschieben, sich zurückzulehnen und abwartend Däumchen zu drehen. Zum einen, weil es nicht so ausschaut, als würde sich die Politik alsbald und voller Tatendrang um die anstehenden Herausforderungen bemühen. Und zum anderen ist es nicht nur Aufgabe der Politik, sich um Lösungen für die aktuellen Probleme zu bemühen. Dessen sind sich die Jungen übrigens durchaus bewusst: So sind 71 % der Meinung, dass wir alle unseren Lebensstil verändern müssen, um beispielsweise den Klimawandel zu bekämpfen.

Es liegt an uns selbst

Dass wir das Ruder selbst herumreißen, Verantwortung übernehmen und mutig (voran)gehen können, stimmt positiv – zumindest mich. Eine entscheidende Rolle spielt dabei allerdings das Vertrauen. Dieses sorgt nämlich unter anderem dafür, dass wir uns wohlfühlen und zuversichtlich sind. Was aber, wenn man sich eben hinsichtlich der Zukunft mit dem Vertrauen schwertut? Wie soll man Zuversicht schöpfen, wenn einen nur mehr Sorgen und Ängste plagen? Wie soll man sich wohlfühlen, wenn sich alles nur noch schlecht anfühlt?
Was das Wohlbefinden angeht, sollten wir wissen, dass dieses weniger mit dem zusammenhängt, was kommt, als vielmehr mit dem, was ist und was war – also mit den aktuellen Erlebnissen sowie mit unseren Erinnerungen. In seinem Weltbestseller „Thinking, Fast and Slow“ beschreibt der Psychologe und Nobelpreisträger Daniel Kahnemann unter anderem das Konzept der zwei Selbste: So haben wir ein erlebendes Selbst, das sich andauernd mit der Frage beschäftigt: „Fühle ich mich gerade wohl oder tut es weh?“ und zugleich ein erinnerndes Selbst, dass die Frage beantwortet: „Wie war es im Großen und Ganzen?“ Kahnemann ist mittlerweile davon überzeugt, dass das eigene Wohlbefinden nicht nur damit zu tun hat, wie es uns mit dem, was wir gerade erleben, geht, sondern dass wir immer auch Urteile und Bewertungen über das bereits Erlebte einfließen lassen. Oder um es mit seinen Worten zu sagen:

„Wir müssen uns mit der Komplexität einer hybriden Sichtweise abfinden, bei der das Wohlbefinden beider Selbste berücksichtigt wird.“

Gehe ich nun davon aus, dass mein Wohlbefinden in der Zukunft sowohl davon abhängt, was ich in Zukunft erleben werde, als auch davon, was ich in der Vergangenheit erlebt habe, dann sollten wir doch alles daransetzen, heute schon positive Erinnerungen zu schaffen, sodass wir morgen eine Welt haben, in der wir uns wohlfühlen können.

Vertrauen lernen

Soweit so gut. Um das Vertrauen in die Zukunft steht es trotzdem noch nicht besser bestellt? Das mag daran liegen, dass wir in die Zukunft gar nicht vertrauen können. Nicht, weil sie sich chaotisch, alles andere als planbar und sicher präsentiert, uns im Gegenteil Rätsel aufgibt und die eine oder andere Sorgenfalte beschert. Das ist eine Tatsache, die wir akzeptieren und mit der wir leben müssen. Der Grund, warum wir der Zukunft nicht vertrauen können, ist, dass Vertrauen immer mit Menschen zu tun hat – mit uns selbst und mit unseren Mitmenschen, vom engsten Familienkreis über entfernt Bekannte bis hin zur Gesellschaft generell. Sowohl das Selbst- als auch das Vertrauen gegenüber anderen ist eng mit Erfahrungswerten verbunden. So haben wir beispielsweise schon früh gelernt, ob wir auf uns selbst und unseren Fähigkeiten und/oder auf andere Menschen bauen können. Vertrauen ist folglich eine erlernte Entscheidung. Und das ist gut, denn somit liegt es erstens an uns, ob wir vertrauen oder nicht. Und zweitens können wir es wieder lernen – sofern uns das Vertrauen abhandengekommen ist.

Hoffnungsvoll ins Morgen

Wenn wir vom Vertrauen in die Zukunft sprechen, geht es also darum, den eigenen Fähigkeiten als auch anderen Menschen zu vertrauen und darauf, dass man gemeinsam den Weg meistern wird. Es gilt, (wieder) Zuversicht zu erlangen und sich beim Gedanken an die Welt von morgen wohl zu fühlen. Das lässt die Hoffnung auf eine gute Zukunft immer noch nicht wachsen, schließlich – so das allgemeine „Totschlagargument“ – weiß niemand, was kommen wird. Befasst man sich aber genauer mit dem Thema Vertrauen, schaut die Sache anders aus.
Der deutsche Philosoph und Soziologe Georg Simmel (1858-1918) beschrieb Vertrauen als einen Zustand zwischen Wissen und Nichtwissen, eine „Hypothese künftigen Verhaltens“, auf die wir konkretes Handeln gründen. Wer vertraut, geht also bewusst und im guten Glauben davon aus, dass man selbst und/oder die Mitmenschen sich so oder so verhalten und dass sich in der Folge eine Sache so entwickelt, wie es versprochen wurde oder wie man es erhofft hat. Ob diese dann tatsächlich so eintritt, ist eine andere Sache und für den ersten vertrauensvollen Schritt gar nicht entscheidend. Viel wichtiger ist, dass wir Vertrauen als ein reißfestes Band begreifen, an dem wir uns auf dem Weg ins Neue, Unbekannte – oder eben in die Zukunft – anhalten und orientieren können, sogar dann, wenn Umstände (noch) unsicher erscheinen. Genauso aber sollten wir uns auch darüber im Klaren sein, dass sich Vertrauen ungeheuer schnell und durch kleinste Dinge zerstören lässt.

Was und wen bringst du mit?

Inwiefern wir anderen Menschen vertrauen (können), ist freilich so eine Sache. Doch uns selbst können oder vielmehr müssen wir auf jeden Fall vertrauen. Mit Blick in die Zukunft bedeutet das, sich seiner Fähigkeiten und Begabungen, seiner Charaktereigenschaften, seiner Werte und Haltungen bewusst zu werden. Diese sind sozusagen die Werkzeuge, die uns helfen, Situationen im Jetzt, aber auch im Morgen zu meistern und anstehende Aufgaben zu lösen.
Also: Über welche Fähigkeiten und Kompetenzen verfügst du? Was kannst du gut? Was kannst du, was viele andere nicht (so gut) können? Welche Kenntnisse und Leidenschaften treiben dich an? Worüber möchtest du immer mehr wissen? Was weckt deine Neugier, deinen Wissensdrang? Womit beschäftigst du dich intensiv – mehr als die meisten Menschen? Welche Werte vertrittst du? Welche Werte sind dir wichtig? Was gibt deinem Leben Sinn und Richtung? Welche Stärke macht dich aus, für welche Tugend stehst du, welche besondere Eigenschaft verkörperst du?
Neben all dem, was wir selbst mitbringen, kommt es auf Beziehungen, auf Gruppen und Gemeinschaften an, denen wir angehören. Womit wir wieder bei den Mitmenschen wären. Denn Tatsache ist: Gemeinsam können wir besser für unsere Interessen eintreten, uns gegenseitig motivieren und uns durch gegenseitiges Vertrauen stärken. Spätestens dann kennen wir des (Kreuzwort-)Rätsels Lösung und wissen, dass „Vertrauen in die Zukunft“ Hoffnung oder Zuversicht oder noch besser beides zusammen bedeutet.

 

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Christiane Mähr,Featured,Vertrauen

Vertrauen wir uns mal selbst – dann der Zukunft

Warum wir gar nicht in die Zukunft vertrauen können, was das mit Ängsten und Sorgen, Erinnerungen und Erlebnissen zu tun hat und warum wir es selbst in der Hand haben, mutig in die Zukunft zu gehen und dabei andere an der Hand nehmen sollten.