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Zukunftsstadt

In vielen, einst rein ländlichen Regionen nimmt die Urbanisierung zu. Neben zunehmend städtischen Gebieten mit Industriezonen, dichter Besiedlung und einem schnell getakteten Leben, gibt es aber nach wie vor ländliche Strukturen: Dorfleben, viele Grünflächen, bäuerliche Bewirtschaftung und ein Alltag, der (noch) Luft zum Durchatmen lässt. Mitunter sind Seen und Berge mit satten Wiesen nicht weit, um sich an den Wochenenden wie im Urlaub zu fühlen. Derartige Gegensätze verleihen einer Region einen besonderen Charakter, bergen aber auch Sprengstoff. Und das obwohl Letzteres nicht sein müsste – oder um es mit den Worten der US-amerikanischen Schriftstellerin Audre Lorde zu sagen: „Es sind nicht unsere Unterschiede, die uns trennen. Es ist unsere Unfähigkeit, diese Unterschiede anzuerkennen, zu akzeptieren und zu feiern.“ Was, wenn wir Unterschiede als kulturelles Zukunftskapital betrachten und damit ein Kreativzeitalter einläuten würden?

Vielfalt leben

Doch was braucht es, damit wir der Vielfalt nicht nur Beifall zollen, sondern von dieser bunten Fülle auch profitieren können? Fakt ist: Wer sich auf das Trennende fokussiert, läuft Gefahr auseinanderzudriften. Folglich braucht es etwas Übergeordnetes, das uns vereint. So etwas, wie Räume, in denen sich die Menschen in all ihrer Unterschiedlichkeit entwickeln und entfalten können. Räume, die alles zulassen, was an Vielfalt eingebracht wird. Denn je unterschiedlicher die Menschen, umso unterschiedlicher die Möglichkeiten, die sich in diesen Räumen ergeben können. Unterschiede und Vielfalt sind notwendige Treiber. Doch erst durch das Zusammenspiel entstehen auch neue gemeinsame Möglichkeitsräume. Je unterschiedlicher sich diese Räume präsentieren, umso intelligenter, bunter und kreativer können sie werden.
Zukunft findet in solch kreativen Möglichkeitsräumen statt. Wenn wir an das Morgen denken und es gestalten wollen, spielt es daher eine entscheidende Rolle, dass wir all diese Unterschiede zulassen – seien es die Charakteristika der einzelnen Subregionen, seien es die Besonderheiten von Städten und Gemeinden, seien es die verschiedenen Unternehmen und Geschäfte, seien es die Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Verantwortung übernehmen

Doch in einem Kreativzeitalter sind Räume bzw. Regionen nicht die einzige Gemeinsamkeit, die uns Menschen mitsamt unserer Vielfalt verbindet. Sie sind nur das, was schon vorhanden ist. Für gemeinsame Zukunftsbilder benötigen wir zudem ein kollektives Mind-Set. Kein Einheitsbrei, bei dem alle Unterschiede in einen Topf geworfen werden, um daraus eine scheinbare Einstimmigkeit und Eintönigkeit zu brauen.

Ein Kreativzeitalter braucht ein übergeordnetes Mind-Set, das Kreativität mit all seinen Facetten nicht nur zulässt, sondern sogar forciert. So kann aus Unterschiedlichkeit eine neue Form der Gemeinsamkeit entstehen.

Dabei sollten wir uns allerdings im Klaren sein, dass wir Verantwortung übernehmen müssen – für das eigene Leben, aber auch für die Mitmenschen und die jeweilige Region, in der wir leben. So braucht es beispielsweise eine funktionierende regionale Kreislaufwirtschaft, zu der jeder beitragen muss, da sie zum einen auf der Wiederverwertung von Produkten sowie Rohstoffen und zum anderen auf natürlichen Ressourcen und deren regenerativer Kapazität basiert. Ebenso braucht es Unternehmer, die neue Arbeitsmodelle schaffen und ihren Mitarbeitern dadurch auch Möglichkeiten eröffnen, sich beruflich und privat weiterzuentwickeln. Wir brauchen Landwirte, Senner und Künstler, IT-Spezialisten, Consulter und Menschen im Gesundheitswesen, altes Handwerk und neue Ideen, innovative Gastronomen, Dienstleister mit Engagement und Fachgeschäfte mit Leidenschaft. Dafür braucht es aber auch Menschen, die regional einkaufen und konsumieren und sich als Teil dieser Verantwortung sehen. Es braucht Städte mit eigenen Identitäten, mit denen sich die Bürger identifizieren können. Und es ist Aufgabe ebendieser Städte, soziale Begegnungen zu ermöglichen – in Form von öffentlichen Plätzen, einem umfassenden Bildungsangebot oder im Rahmen breiter und blühender kultureller Programme. Wenn Kommunikation und Kreativität stattfinden kann, können sich Menschen und Regionen entfalten. Dann wird Regionalität zu einem echten Alleinstellungsmerkmal und kann der Globalisierung tatsächlich die Stirn bieten.

 

Kreativzeitalter: Neue Sicht der Dinge

Wir werden unsere Regionen nur dann attraktiv und erfolgreich in die Zukunft führen, wenn wir einerseits eine gemeinsame wirtschaftliche, soziale und ökologisch nachhaltige Basis haben und andererseits die menschliche Komponente nicht außer Acht lassen. Und dafür brauchen wir Menschen, die als Denker, Lenker und Gestalter mitwirken wollen – von mutigen politischen Entscheidern bis hin zum verantwortungsbewussten Bürger.
Zukunft neu zu denken, bedeutet nicht, alte Traditionen über Bord zu werfen. Im Gegenteil. Nur wenn wir wissen, wo unsere Heimat ist, in der wir verwurzelt sind, schaffen wir außerdem einen tieferen Bezug im Sinne unserer Zukunftsbilder. Gerade deshalb wäre es wohl an der Zeit, eine neue Sicht auf die Dinge zu entwickeln, Begriffe wie Tradition, Wurzeln oder Heimat neu zu definieren. Auch Wachstum gehört von seiner über all die Jahre gewachsenen Auslegung entkoppelt: weg von der Fixierung auf Umsatz- und Gewinnsteigerung, hin zur persönlichen Entfaltung. Weg vom Bruttoinlandsprodukt hin zum kreativen Möglichkeitsraum, in dem die Menschen neues Wissen generieren und sich persönlich und gesellschaftlich weiterentwickeln können. Wir werden Regionen nur dann in die Zukunft führen können, wenn wir den Switch vom Industriezeitalter hin zu einem Kreativzeitalter schaffen und sich dadurch eine neue Wirtschaftslandschaft verbunden mit einer anderen Lebensweise entfalten kann.

Kreative Kultur

Wenn wir es schaffen, als Gemeinschaft eine gemeinsame neue Vision zu entwickeln, wohin wir aufbrechen und wie wir in Zukunft leben wollen, werden wir auch in der Lage sein, jene Zukünfte zu bauen, die wir dafür brauchen. Wenn wir überregionale, kreative Gestaltungsspielräume eröffnen, in denen gerade die Unterschiedlichkeit eine neue Gemeinsamkeit schafft, die sich gegenseitig beeinflusst und verstärkt, wird uns die ganze Welt offenstehen. Kurz und gut: Wenn wir Zukunft neu denken und sie nicht nur aus der eigenen, sondern aus einer gemeinsamen und übergeordneten Perspektive betrachten, wird uns das Morgen Möglichkeiten offenbaren, die wir uns heute noch nicht einmal erträumen können.

 

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Christiane Mähr,Klaus Kofler,Transformation

Da liegt was in der Luft: Auf ins Kreativzeitalter

Wenn wir über das Morgen nachdenken, sollten wir uns weniger fragen, was die Zukunft bringt. Vielmehr geht es doch darum, welche Zukünfte eine Region realisieren kann. Und was es dazu braucht. Gedanken von Christiane Mähr und Klaus Kofler

Wir sind bei Zukunft Neu Denken immer per Du. Da ihre Zeit eng bemessen ist, haben wir im Vorfeld noch nicht gesprochen, daher fange ich das Gespräch mit der Frage an: Darf ich dem Oberbürgermeister von Wuppertal das Du anbieten?
Ja klar.

Schön, dann legen wir los: Es tut sich viel in der mit rund 365.000 Einwohnern größten Stadt des Bergischen Landes. Eben erst haben sich die Wuppertaler dafür entschieden, dass sich die Stadt für die Bundesgartenschau, kurz BUGA 2031 bewirbt. Abgesehen davon, dass der Entscheid ein Erfolg für sich war: Was bedeutet das für die Zukunft der Stadt?
Es war wirklich eine Freude mitzuerleben, wie sich ein breites Bündnis aus unterschiedlichsten Unterstützern dafür stark gemacht hat, dass das Anliegen der Bürgerinitiative „BUGA – so nicht“ abgelehnt wurde. Auch weil die BUGA keine Blümchenschau ist, bei der wir ein halbes Jahr schöne Veranstaltungen inszenieren. Vielmehr stehen dahinter viele Ideen, die wie ein Kompass für die Stadt selbst dienen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die BUGA 2031 soll die erste ohne zusätzliche Parkplätze werden. Sprich: Die Besucher werden hauptsächlich über den öffentlichen Nahverkehr anreisen oder das Radwegenetz nutzen, das bislang aber noch unzureichend ausgebaut ist. Entsprechend gilt es, bis 2031 eine Fahrradkultur zu etablieren und/oder die Menschen dazu zu bringen, vermehrt auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen. Die BUGA bietet die Chance, die Stadt in Richtung Nachhaltigkeit, neue Mobilität, Kreislaufwirtschaft und auch Bürgerbeteiligungen zu entwickeln.

Die Bürgerinitiative gegen die BUGA hat euch also nicht „abgeschreckt“, die Bürger noch mehr einzubinden?
Ganz und gar nicht. Der Entscheid für die BUGA wurde uns zwar in gewisser Weise aufgezwungen. Im Nachhinein sind wir aber sogar dankbar dafür, denn dadurch ist eine tolle Aufklärungskampagne entstanden. Zudem muss gesagt werden, dass solche Bürgerentscheide im Normalfall negativ ausgehen. Dass das in Wuppertal nicht der Fall war und sich die Menschen für die BUGA entschieden haben, ist schon ein Ausrufezeichen – auch wenn es mit 51,8 Prozent ein recht knappes war. Nichtsdestotrotz konnten wir die Mehrheit überzeugen, dass es Sinn macht, auf so ein Zukunftsprojekt zu setzen.

Und es ist wirklich ein Zukunftsprojekt, schließlich findet die BUGA erst in neun Jahren statt. Ein Zeitraum, der für viele gar nicht „greifbar“ ist.
Natürlich sind neun Jahre eine lange Zeit und für manche Bereiche mag das auch zutreffen. Doch bei Verkehrsprojekten beispielsweise sind neun Jahre gar nichts. Hier müssen wir schleunigst die Weichen stellen, um Ressourcen und Kapazitäten entsprechend vorzusehen. Auch in der Verwaltung stehen unendlich viele Dinge an. Das Gute ist, dass wir mit der BUGA ein festes Datum haben. Was in einer Stadt zu tun ist, welche Dinge angegangen werden müssen, ist meist klar. Jedoch verschieben sich Projekte immer wieder, weil sie schlichtweg vom Alltag überrollt werden. Wir aber wissen jetzt, dass 2031 zwei Millionen Menschen nach Wuppertal kommen werden. Und wir müssen heute entscheiden, was dafür zu tun ist. Umso besser, dass seit dem Entscheid für die BUGA eine ganz andere, eine positive Grundspannung herrscht.

Du bist seit November 2020 Oberbürgermeister von Wuppertal. Mit dem Zukunftsprogramm #Fokus_Wuppertal war von Beginn an klar, dass Du etwas bewegen möchtest. Warum dieser Fokus auf die Zukunft und was steckt dahinter?
Für mich war klar, dass ich alles daransetzen werde, die Ansagen, die ich im Wahlkampf gemacht habe, auch umzusetzen und mich dabei nicht von den Anforderungen des täglichen Handels überrollen zu lassen – lokale Politik ist im Normalmodus nämlich oft sehr reaktiv. Daher haben wir am Anfang der Amtsperiode acht Bereiche – darunter Themenfelder wie Klimaneutralität, eine innovative und nachhaltige Mobilitätsstrategie oder die Vernetzung der Bildungs- und Forschungsinfrastruktur – in ein Zukunftsprogramm mit klaren Zielvorstellungen übersetzt. Dieses dient nun als Kompass und bietet den Menschen Orientierung – und zwar den Bürgern genauso wie der Verwaltung. Außerdem haben wir uns verpflichtet, jedes Jahr Rechenschaft darüber abzulegen, wo wir welche Schritte gesetzt haben, wo wir weitergekommen sind und was nicht geklappt hat. So merken die Menschen, dass sich etwas verändert und vieles nicht so schlecht läuft, wie es manchmal angesichts alltäglicher Probleme scheint.

Die Menschen haben sich irgendwie angewöhnt, das Negative in den Fokus zu stellen.
Das stimmt leider. Meiner Meinung nach hat das viel mit einer weitentwickelten Wohlstandsgesellschaft zu tun, in der wir leben. Man hat das Gefühl, dass viele Menschen nach vorne hin nichts zu gewinnen haben, sondern immer nur darauf achten, was sie alles verlieren können.

Du warst viele Jahre im universitären und damit eher im wissenschaftlich-theoretischen Bereich tätig. Als Oberbürgermeister gibt es wohl nur mehr Praxis. Wie geht man damit um?
Auch als Wissenschaftler habe ich ja schon sehr praxis- und politiknah gearbeitet. Nun aber stehe ich permanent im Rampenlicht und bin zudem emotionale Projektionsfläche für viele Menschen. Gerade in der Anfangsphase war das durchaus eine Herausforderung, für die ich auch Coping-Strategien entwickeln musste. Vom Kopf her weiß man das, aber wenn man dann tatsächlich damit konfrontiert wird, ist das etwas ganz anderes. Es ist auch eine totale Konfrontation mit sich selbst. Die Bürger kennen dich schlussendlich besser als du dich selbst.

…zumindest glauben sie das.
Na ja, das Reagieren auf Fremdbeobachtungen hat ja auch mit dem Bedürfnis zu tun, gemocht zu werden. Bei Angriffen, die in diesem Job mitunter in voller Brutalität auf einen zukommen, stellt man sich natürlich oft die Frage: Warum trifft mich dieser Kommentar, diese Attacke so sehr? Im Vergleich zu anderen Jobs kann man sich als Oberbürgermeister einer ständigen und umfassenden Beobachtung und Bewertung nicht entziehen. Also muss man sich intensiv mit sich selbst auseinandersetzen.
Ein wichtiger Stabilisationsfaktor für mich ist, mir immer wieder klarzumachen, dass es eine selbstgewählte Reise ist, an der man kontinuierlich wachsen muss, um sie erfolgreich auszufüllen. Hilfreich ist dabei übrigens das Bild des Energiefasses: Wo und wie kommt Energie oben hinein? Und wo sind Lecks und wie kann man das diese schließen? Eine sehr kraftvolle Vorstellung. Der Respekt vor all denen, die so einen Job über viele Jahre machen, ist jedenfalls unendlich gestiegen.

Du beschäftigst dich schon lange damit, wie sich Gesellschaften verändern, und hast 2018 das Buch „Die große Transformation. Eine Einführung in die Kunst gesellschaftlichen Wandels“ veröffentlicht. Was braucht es denn, damit eine Gesellschaft zukunftsfähig wird?
Die Grundbotschaft des Buches ist die Zukunftskunst und, dass ein Veränderungsprozess nur dann funktionieren kann, wenn er mit Kreativität und positiver Energie angegangen wird. Außerdem braucht es immer eine kritische Masse an Menschen, die diese Veränderung in sich tragen und dadurch eine Dynamik auslösen. Städte sind in der Hinsicht ein spannendes Feld, weil sie oft reich an avantgardistischen Strömungen und Transformation sind. Allerdings kann sich positive Energie nur verbreiten, wenn das Kreative, das Lustvolle überwiegt. Nur so entstehen Räume, die andere mitnehmen können. Im Bereich der Forschung und Entwicklung, aber auch im Unternehmerischen etwa haben wir das oft; im Politisch-Institutionellen nur sehr selten bis gar nicht.

Das versuchst Du nun ja zu ändern.
Das Wissen aus dem Buch ist für mich wie ein Kompass. Gleichzeitig merke ich, wie herausfordernd es in der Praxis tatsächlich ist. Die Kraft bestehender Routinen kann derartige Möglichkeitsräume abtöten – ebenso wie negative Energien. Da gilt es, Tag für Tag dagegen anzukämpfen und Inseln guter Zukunftsenergien zu schaffen. In Wuppertal funktioniert das über ein fantastisches Netz an zukunftsaffinen Mitwirkenden. Hier haben wir die kritische Masse, die auch immer wieder mein Energiefass füllt. Ob es sich aber tatsächlich bestätigt, dass man allein mir Kreativität und positiver Energie alles bewegen kann, wird sich erst zeigen. Das Experiment läuft also noch.

Stoff für das nächste Buch?
Warum nicht? Denn selbst wenn es am Ende, aus welchen Gründen auch immer, scheitern sollte, wäre es sinnvoll ein Buch darüber schreiben, damit andere daraus etwas lernen können.

Stimmt, obwohl wir vom Scheitern nicht ausgehen. Vielmehr sind wir gespannt, was sich in Wuppertal in kommenden Jahren tut. Danke, dass du dir die Zeit für dieses inspirierende Gespräch genommen hast, Uwe.

 

 

Zur Person: Uwe Schneidewind

…ist seit November 2020 Oberbürgermeister der bergischen Großstadt Wuppertal (Nordrhein-Westfalen). Zuvor war der Wissenschaftler und Autor, der überdies zu den 100 einflussreichsten Ökonomen Deutschlands gezählt wird, unter anderem Dekan und Präsident der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg sowie zuletzt zehn Jahre Präsident des Wuppertaler Instituts für Klima, Umwelt, Energie.

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Blumen für Wuppertal: Eine Stadt macht Zukunft

Oberbürgermeister Uwe Schneidewind erklärt, warum die BUGA 2031 für Wuppertal ein Zukunftsprojekt ist und keine Blümchenschau. Außerdem sprechen wir darüber, wie der politische Quereinsteiger seinen Job angeht und was eine Gesellschaft zukunftsfähig macht.

Die Verstädterung nimmt zu. Gleichzeitig ziehen die Menschen vermehrt aufs Land – nicht erst seit der Pandemie. Inwiefern passt das zusammen?
Stimmt. Es ist allerdings nur ein scheinbarer Gegensatz, denn die Menschen ziehen nicht in die Pampas, sondern siedeln sich in einem Umkreis von bis zu 100 km rund um die großen Metropolregionen an. Diese natürliche Abwanderung hat vor gut fünf Jahren angefangen und wurde durch die Pandemie verstärkt. Nun haben wir einerseits eine Zunahme der Verstädterung, andererseits aber eben auch immer größer werdende Ballungsräume rund um die Städte.

Das Home Office wird also bleiben. Immerhin lebt man auf dem „Land rund um die Stadt“ ja nicht abgeschottet, sondern arbeitet von zuhause aus.
Genau. Doch es ist nicht mehr so wie rund um die Jahrtausendwende, als man wegen des aufkommenden ersten Internethypes dachte, dass man überall arbeiten kann – also auch im hintersten Wald oder am Strand. Fakt ist: Ein Kreativer allein verhungert im Waldviertel. Diejenigen, die jetzt aufs Land ziehen, wollen und brauchen soziale Interaktion und Vernetzung. Entsprechend wichtig ist es, dass die Kommunen das verstehen. In Brandenburg wird das beispielsweise hervorragend umgesetzt. Da werden die Bürgermeister der umliegenden Regionen in den digitalen Berliner Szenen aktiv vorstellig, erklären den Menschen, dass sie in ihren Gemeinden kreative Entwicklungsstätten vorfinden, wo sie sich mit anderen Menschen austauschen können – beruflich wie privat, es lassen sich ja auch immer mehr Familien abseits der Stadt nieder. Die Lebensqualität ist auf dem Land besser, die Preise sind niedriger. Letzteres ist generell ein Thema, denn die Kosten für Wohnen, Leben und Arbeiten steigen überall rasant an. Gut, dass bei den Betrieben ein Umdenken stattfindet und es unterschiedliche Arbeitsmodelle gibt, die Home Office, Satellitbüros usw. ermöglichen.

Wird das Land dadurch zur städtischen Region?
Eine gute Frage, schließlich werden durch die Menschen auch Lebensstile „exportiert“. Der Transfer funktioniert allerdings in beide Richtungen. Urbane und ländliche Lebensstile werden sich künftig also vermehrt vermischen: Die Stadt wird grüner, das Land kreativer. Eine interessante Osmose.

Klingt wirklich spannend. Inwiefern aber können die Bürger mitbestimmen, wie sich das Leben dort, wo sie leben, entwickelt – egal ob in der Stadt oder auf dem Land?
Es zeigt sich ein deutlicher Schub an partizipativen Kollaborationen und Formaten, in welchem Gefüge auch immer – sei es im beruflichen oder privaten Umfeld. Selbst bei den Kommunen findet hier ein Umdenken statt. Ein tolles Beispiel ist Barcelona, wo eine sehr starke partizipative Kultur gepflegt wird. Bei rund zwei Drittel aller Entscheidungen werden die Bürger aktiv einbezogen. Natürlich werden Pläne, Ideen usw. vorab von den Entscheidungsträgern entwickelt, dann aber in Bürgerforen hineingespielt, dort diskutiert und mittels Feedback-Schleifen wieder an die Kommunen zurückgeleitet.

Wow. Das wusste ich nicht. Und die Menschen nehmen an diesen partizipativen Prozessen tatsächlich teil? Oder anders gefragt: Ist den Menschen klar, dass sie auch Verantwortung übernehmen müssen – gerade im Hinblick auf das Gemeinwohl?
In Barcelona wird das sehr gut angenommen. In Skandinavien ist es ohnehin selbstverständlich, dass das soziale Gefüge und damit das Verantwortungsgefühl über die eigene Familie hinausgeht. Je weiter südlich man schaut, umso mehr steht die Familie im Mittelpunkt. Der Staat hingegen ist schlecht. Er nimmt mir etwas weg. Daher ist es auch legitim, ihn zu hintergehen.

Und wir liegen irgendwo dazwischen.
Ja, wobei sich eine gewisse „Skandinavisierung“ hinsichtlich der Verantwortung für das Gemeinwohl abzeichnet. Allerdings gilt nach wie vor: Je direkter das eigene Leben betroffen ist, umso größer das Engagement. Mein Dorf, meine Stadt, meine Region sind mir näher als der Staat. Wir sind oft viel zu weit weg von den anderen. Daher ist es entscheidend, dass zunehmen Interaktion stattfinden kann. Wir sind soziale Wesen, leben in Netzwerken, bei denen Knotenpunkte festgelegt werden müssen.

Dass sich das eigene Tun auf das Leben des anderen auswirkt, wurde in der Pandemie bestätigt. In dem Zusammenhang sprichst Du davon, dass Nähe und Distanz stetig neu vermessen werden und es kein Wunder sei, dass sogenannte Mikro-Formaten einen Boom erleben. Wie ist das gemeint?
Eine digitale Gesellschaft zeichnet sich durch dezentrales Leben aus. Zugleich brauchen wir Interaktion und Vernetzung, die unter anderem eben bei bzw. durch Micro Hubs stattfinden. Das können virtuelle neuronale Netzwerke sein genauso wie Mikro-Abenteuer, die man mit Freunden oder Familie erlebt. Für Firmen bedeutet das beispielsweise, dass sich alteingesessene Strukturen auflösen dürfen und die interne Organisation gezielter agiert. Im Übrigen ist erwiesen, dass der Mensch nur mit einer begrenzten Anzahl von Menschen soziale Beziehungen unterhalten kann – im Schnitt sind das 150 Personen, die sogenannte „Dunbar-Zahl“.

Sinnvolle Vernetzung bedeutet also lieber weniger, dafür aber wertvolle Kontakte.
Korrekt. Und viele international tätige Unternehmen orientieren sich bereits an der Dunbar-Zahl. Doch in welchem Bereich auch immer: Intelligente Vernetzung wird künftig entscheidend sein, weniger der Ort selbst. Dazu braucht es allerdings ein neues Mind-Set.

Gutes Stichwort. In Städten findet das Leben ja vermehrt im öffentlichen Raum statt. Nimmt nun die Verstädterung zu, ist in der Hinsicht wohl auch ein breites Umdenken nötig.
Jein, denn Leben im öffentlichen Raum hängt nur zum Teil mit der Verstädterung zusammen. Genauso spielt etwa die zunehmende Digitalisierung eine Rolle: Je digitaler die Welt, desto wichtiger werden Begegnungsorte, wo Vernetzung möglich ist, konsumfreie Zonen, Knotenpunkte – Hubs eben. Dort können Reflexion, Irritation und Provokation stattfinden, sodass die Menschen ihre Perspektiven erweitern und aus ihrer Bubble rauskommen können. Wichtige Hubs der Zukunft sind meiner Meinung nach übrigens Bibliotheken. Im städtischen Raum sind die Strukturen schon gut vorhanden. Auf dem Land ist das noch nicht der Fall, weil bislang kein Bedarf war. Es gab und gibt zwar das Gasthaus oder das Vereinsleben. Mit der „Landflucht“ wird es jedoch zu Veränderungen kommen. Unter anderem wird die Kombination von Wohn-, Arbeits- und Lebensraum genauso wichtig wie in der Stadt. Dafür braucht es aber eine entsprechende Infrastruktur und dafür wiederum weitsichtige Bürgermeister, die das vorantreiben. Die Attraktivität einer Region hängt sehr vom politischen Willen ab. Wobei auch die Bewohner einiges selbst initiieren und bewirken können.

Womit wir wieder bei der Verantwortung wären. Was braucht es, damit die Menschen in der Hinsicht ins Tun kommen?
Sie müssen darüber aufgeklärt werden, warum es wichtig und sinnvoll ist, sich einzubringen. Das kann anfangs im unmittelbaren Umfeld passieren, sodass sie sehen: Es macht einen Unterschied, wenn ich mich engagiere. Große Entscheidungen werden auch in Zukunft von der Politik getroffen. Dennoch ist es wichtig, dass die Bürger aktiv teilnehmen können – wie man am Beispiel Barcelona sieht. Dazu aber sind Information und Vernetzung nötig, ein offener und vor allem wertfreier Diskurs, ineinandergreifende Prozesse und Feedbackschleifen, die es den Menschen ermöglichen, ihre Ideen und auch Bedenken mitzuteilen. Und wenn sie dann tatsächlich gehört werden, werden die Menschen immer öfter ihre Verantwortung wahrnehmen.

Vielen Dank für das Gespräch, Andreas!

 

(c) Oliver Wolf

 

Zur Person: Andreas Reiter

Der gebürtige Tiroler beschäftigt sich schon seit über drei Jahrzehnten mit der Zukunft. 1996 gründete er das ZTB Zukunftsbüro in Wien und berät seither Unternehmen, Kommunen, Destinationen und öffentliche Institutionen bei strategischen Zukunftsfragen, Positionierung und kundenzentrierter Produktentwicklung. Andreas Reiter ist außerdem Keynote-Speaker und gefragter Referent bei internationalen Kongressen und Tagungen. Als Lehrbeauftragter für Trend-Management gibt er sein Wissen überdies an der Donau-Universität Krems und am MCI in seiner Heimatstadt Innsbruck weiter. Auf seinem Blog „Future Spirit“ macht er sich Gedanken über die Zukunft und gibt Inspirationen für den Wandel.

Link: www.ztb-zukunft.com

 

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Im Gespräch mit...,Verantwortung

Stadt, Land, Vernetzung: Der Mensch braucht Hubs

Landflucht und Verstädterung nehmen zu. Warum das kein Widerspruch ist, sondern zu grünen Städten und einem kreativen Land führt, weiß Zukunftsforscher Andreas Reiter. Außerdem sprechen wir darüber, was es mit der Skandinavisierung auf sich hat, weshalb wir Begegnungsorte im Mikro-Format benötigen und wie Menschen ihre Verantwortung für das Gemeinwohl wahrnehmen werden.

Im zweiten Wiener Gemeindebezirk befindet sich auf einer Fläche von mehr als 4.000 m² ein einzigartiger städtischer Lebens- und Lerngarten: Die City Farm Augarten. Zwischen der Porzellanmanufaktur auf der einen und den Wiener Sängerknaben auf der anderen Seite wird das ganze Jahr biologischer Gemüse- und Obstanbau gepflegt. Und zwar weniger von professionellen Landwirten, als vielmehr von Menschen, die Lust haben, ökologische Gartenkultur ganzheitlich zu erleben. Nach dem Motto „Man kann nie früh genug beginnen und es ist nie zu spät damit anzufangen“ ist der Garten im Herzen von Wien ein Ort für Groß und Klein, Alt und Jung: „Die City Farm ist ein sozialer Ort. Es zeigt sich immer wieder, dass gerade das generationenübergreifende Element sehr wichtig ist“, weiß Gründer und Leiter Wolfgang Palme, dem die Liebe zum Gartenbau sozusagen in die Wiege gelegt wurde, hat er doch schon als Kind mit seiner Oma das Gemüsebeet umgegraben. Seit rund drei Jahrzehnten ist er als Leiter der Abteilung Gemüsebau an der Höheren Bundeslehr- und Forschungssanstalt Schönbrunn tätig, wo er sich mit zukunftsfähigen Anbauarten beschäftigt, diese weiterentwickelt und erforscht, wie diese von der Landwirtschaft genutzt werden können. Doch die Forschung ist nur eine Seite der Landwirtschaftsmedaille. Auf der anderen Seite braucht es ebenso gartenpädagogische Vermittlung. Nur so erreicht man die Menschen.

Kinder in den Garten

Im Rahmen von Workshops, Erlebnistouren und Gartenführungen, Veranstaltungen, Märkten und Gartenspasswochen oder beim Eingraben von Socken (was es damit auf sich hat, steht am Ende dieses Beitrags) werden in der City Farm praktisches Wissen und Verständnis für eine zukunftstaugliche, ressourcenschonende und krisensichere Landwirtschaft vermittelt. Denn nur diese kann die Versorgung mit frischen Lebensmitteln zu jeder Jahreszeit bieten. Dass dabei ein Fokus auf Kinder gelegt wird, hat mehrere Gründe: So hat die heutige Kindergeneration oft keine Omas und Opas, die ihren Enkeln das Wissen über nachhaltigen Gemüse- und Obstanbau, die Bedeutung biologischer Lebensmittel und deren Verarbeitung vermitteln können. Hier springt die City Farm Augarten ein, zeigt Kindern und Jugendlichen, wie und wo Gemüse und Obst bestens gedeihen und wie der Kompostplatz für geschlossene Nährstoffkreisläufe sorgen kann. Damit nicht genug kann die Ernte in einer mit Solarstrom betriebenen Gartenküche verarbeitet und gemeinsam verspeist werden.

Gartenwissen von Grund auf zu erlernen, es buchstäblich zu erspüren und zu erfahren, ist essenziell. Nicht zuletzt, weil es im Prinzip die Kinder von heute sind, die ausbaden müssen, was ihre Eltern und Großeltern – oder eigentlich wir – mit der mittlerweile hochtechnologischen und auf Turboerträge ausgerichteten Landwirtschaft angerichtet haben. Dabei geht es nicht darum, jemandem die Schuld in die Schuhe zu schieben, sondern aufzuzeigen, dass es höchste Zeit ist, dass wir etwas ändern.
Wobei es nicht nur bei „Städtern“ vorkommt, dass sie noch nie eine Kartoffel ausgegraben haben. Auf seinen unzähligen Vorträgen, die ihn quer durch Österreich führen, hört Wolfgang immer wieder, dass auch den Kindern auf dem Land nicht mehr vermittelt wird, wie man Gemüse anbaut: „Es ist ein gesellschaftliches Defizit in unserer westlichen Welt. Und das hat wiederum mit dem agrarindustriellen Prozess von der Produktion bis zur Vermarktung zu tun, der sich in den letzten Jahrzehnten durchgesetzt hat. Die Anonymisierung im Supermarkt schafft Distanz. Nun müssen sich die Seiten wieder annähern – zu beiderseitigem Vorteil.“

City Farm geht an die Grenzen

Wir müssen also wieder einen Zugang zur Landwirtschaft bekommen – sei es durch Direktvermarktung, Wochenmärkte, Gemeinschaftsgärten wie die City Farm Augarten oder über einen anderen Weg. Das Problem ist allerdings, dass sich die Menschen schon daran gewöhnt haben, das ganze Jahr über alles zu bekommen. „Gibt es im Winter keine Erdbeeren, ist das für viele bereits Verzicht bzw. mit einem Verlustgedanken verbunden. Wir müssen erkennen, dass die Natur einen Rhythmus hat, dass es diesen braucht und dass es auch uns guttut, wenn wir uns an diesen Rhythmus halten“, so Wolfgang.
Wobei man sich durchaus fragen muss, was Verzicht eigentlich bedeutet – immerhin wachsen etwa in den Beeten der Wiener City Farm unzählige Gemüsearten, die es in keinem Supermarkt zu kaufen gibt. Und während man im Sommer mit einer schier umfassenden Sortensammlung an Tomaten – oder österreichisch Paradeiser – aufwarten kann, präsentieren die „urbanen Gärtner“ im Winter den einzigen Frischgemüse-Schaugarten der Stadt. Die Natur bietet also das ganze Jahr ausreichend Vielfalt, die wir, um es mit Wolfgangs Worten zu sagen, „auf natürliche Weise ausreizen müssen.“ Das aber bedeutet freilich nicht, dass auch das ganze Jahr alles wächst. Und das ist gar nicht nötig, wie das Beispiel Wintergemüse zeigt: Es gibt 77 (!) Sorten, die über mehrere Wintermonate verfügbar sind und mit simplen Methoden angebaut werden können – ganz ohne Technologie, Heizung oder Düngemittel.

„Ressourcenschonend an die Grenzen zu gehen, ist eine reizvolle Herausforderung, die übrigens auch im großen Stil funktioniert“, weiß der Gemüseexperte, dem zugleich klar ist, dass biologische Low-Input-Landwirtschaft nicht so gut plan- und kontrollierbar ist – um nicht zu sagen gar nicht. „Haben wir einen milden Herbst, sind die Radieschen vielleicht schon im November zum Ernten bereit. Ansonsten halt erst rund um Weihnachten. Der Handel aber verlangt eine bestimmte Menge von bestimmten Gemüsesorten zu einer bestimmten Zeit. Saisonale, biologische Landwirtschaft kann das oft nicht erfüllen.“

Ohne ein Umdenken bei allen Beteiligten wird es nicht funktionieren. Soll heißen: Das Thema hat auch mit der Nachfrage auf Konsumentenseite zu tun. Solange die Erdbeeren im Winter gekauft werden, wird der Handel sie ins Regal legen. Dabei allerdings muss man sich im Klaren sein, dass man nicht nur ein Produkt kauft, sondern eine Entstehungsgeschichte. Es liegt somit an uns Konsumenten, ein kritisches Bewusstsein zu entwickeln und Verantwortung zu übernehmen. Oder wie Wolfgang sagt: „Wintergemüse ist eine basisdemokratische Widerstandsbewegung. Das hat also durchaus eine politische Dimension.“

Last Exit: Biologische Landwirtschaft

Seit Jahren macht sich der Umwelt- und Agrarpädagoge für biologische Landwirtschaft stark, denn er ist davon überzeugt, dass auf lange Sicht kein Weg daran vorbeiführt. Immer wieder sieht er sich jedoch mit Gegenargumenten konfrontiert: Das geht sich nie aus. Mehr als 20 Prozent sind nicht drin. Bio ist viel zu teuer. Da verhungern alle. „Dabei ist das Gegenteil der Fall“, so Wolfgang, der sogar von Agrarexperten Rückendeckung bekommt. „Wenn wir weiterhin nur auf Turboerträge setzen, werden wir über kurz oder lang gar nichts mehr haben. Man kann das mit einem Marathonläufer und einem Sprinter vergleichen. Zu Beginn hat der Sprinter die Nase vorne. Wer aber kommt am Ende ans Ziel?“
Es mag sein, dass wir ein bisschen zurückschrauben bzw. unter anderem auf Erdbeeren im Winter verzichten müssen. Wobei einmal mehr von Verzicht keine Rede sein kann, immerhin wirft der Österreicher im Schnitt pro Jahr 173 kg Lebensmittel weg. Und nein, wir können den schwarzen Peter nicht der Landwirtschaft, Gastronomie und dem Handel zuschieben, schließlich landen 53 Prozent aller weggeworfenen Lebensmittel im privaten Hausmüll.
Für Wolfgang Palme ist klar: „Wir befinden uns seit Jahren in einer Art Verteidigungskampf, die industrielle Landwirtschaft schön zu reden. Wie wäre es, wenn es sich Österreich stattdessen zum Ziel machen würde, das erste Bioland Europas oder gar der Welt zu werden? Was auch immer: Wir müssen schnellstens und radikal umdenken und unsere gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen. Wenn wir nämlich so weitermachen, werden wir langfristig gar keine Lebensmittel mehr ernten können, die diese Bezeichnung verdienen.“

 

 

Wolfgang Palme (im Bild mit City Farm-Mitgründerin Ingrid Greisenegger – Apropos: Für alle in diesem Artikel verwendeten Bilder gilt © www.cityfarm.wien), ist Gründer und Leiter der City Farm Augarten in Wien. Sein umfassendes Know-how gibt er außerdem als Leiter der Abteilung Gemüsebau an der Höheren Bundeslehr- und Forschungsanstalt Schönbrunn und als Vortragender in ganz Österreich weiter.

www.cityfarm.wien

 

Zukunftstipp: Beweisstück Socke
Beim Frühlingsfest am 30. April 2022 startet die City Farm Augarten das „Beweisstück Socke“. Bei diesem Bodenexperiment werden Socken ca. 30 cm tief im Boden vergraben, um in der Folge den Verrottungsprozess miterleben zu können. Wer möchte, kann seine Erfahrungen mit Fotos dokumentieren, einsenden und an einer Verlosung eines Dinners auf der City Farm teilnehmen. Vorrangig geht es allerdings darum aufzuzeigen, wie gesund der Boden ist, in dem die Socken vergraben werden. Vereinfacht gesagt gilt: Je schneller das organische Material, sprich die Socke, zu Humus zersetzt wird, umso gesünder der Boden, denn umso mehr Lebewesen – von mikroskopisch klein bis regenwurmgroß – befinden sich ebendort.
Wer Ende April nicht in Wien sein kann: Auf Anfrage (Mail an: info@cityfarm.wien) werden Socken und Anleitung auch verschickt.

 

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Good News,Verantwortung

City Farm: Wenn Gemüse zum Politikum wird

Inmitten von Wien gehen kleine und große Gärtner an die Grenzen – im besten biologischen Sinne. Warum die City Farm Augarten weitaus mehr als „nur“ ein Urban Garden ist, wieso wir nicht das ganze Jahr Erdbeeren essen können, sondern besser das erste Bioland der Welt werden sollten.