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Die Luftfahrt befindet sich im Umbruch. Für Branche und deren Mitarbeiter ist das an sich nichts Neues bzw. Abnormales. Vielmehr werde einem bereits während der Ausbildung klar vermittelt: „Es braucht Durchhaltevermögen, da es im Airline-Business immer wieder Phasen des Stillstands gibt. Da muss man durchtauchen, denn der nächste Aufschwung kommt bestimmt. Zumindest war das bis vor Corona der Fall“, weiß Michael Marchetti, Pilot und zuletzt Kapitän von Businessjets, mit denen er Prominente, Politiker, Geschäftsleute und einmal sogar einen einzelnen Anzug rund um die Welt flog. Die Pandemie hat die Branche jedoch nachhaltig verändert: Massenkündigungen, die bis heute nachwirken und zu psychischen Belastungen, wenn nicht sogar Selbstmorden geführt haben. Beinharte Preiskämpfe durch die Billig-Airlines, die den Fluggästen zwar günstige Tickets bescheren, aber auch am Image der Fliegerei kratzen und dazu führen, dass das Personal chronisch unterbezahlt ist. „Die Menschen sind frustriert, weil sich die Bedingungen in den Keller entwickelt haben. Nicht nur die Ausbildung muss man sich selbst finanzieren, bei vielen Billiganbietern muss die Crew die Verpflegung selbst mitnehmen oder sich ihre Uniformen selbst kaufen. Piloten sind vielfach nicht mehr angestellt, sondern selbstständige Unternehmer, die sich ihre Brötchen hart verdienen müssen. Am Sager ‚Das teuerste Ticket hat immer der Co-Pilot‘ ist vor allem bei Billig-Airlines etwas Wahres dran“, konstatiert Michael.

What makes you feel alive?

Für den studierten Philosophen und ehemaligen Journalisten, der erst mit 30 Jahren seine Karriere als Pilot startete, war Corona ebenfalls ein Wendepunkt – oder wie er sagt: „Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.“ Schon zuvor hat der Vater von zwei erwachsenen Töchtern seinen Job von Zeit zu Zeit kritisch hinterfragt. Die Leidenschaft für das Fliegen habe aber stets überwogen – bis zu jenem Abend Anfang April 2020, als er zwei, drei Wochen nach Beginn des ersten Lockdowns in seinem Garten ein Lagerfeuer machte, in den Sternenhimmel blickte und ebendort eine endlos scheinende Kette von Space X-Satelliten sah: „Da ist mir der Mund offengeblieben, da mir bewusst wurde: Das ist erst der Anfang. Elon Musk möchte ja 30.000 derartige Satelliten ins All schießen; 1.800 hat er schon oben. Das ist völlig irre und ich habe mich gefragt: Ist das wirklich unsere Zukunft? Ist das gut und richtig, was wir hier tun – in meinem Fall Menschen in Privatjets herumzufliegen? In dem Moment war mir klar: Das ist meine Chance, die Dinge anders zu machen.“
Drei Monate später hat Michael gekündigt, ohne zu wissen, was er künftig machen wird. Erst ein weiteres halbes Jahr später hatte er nach einem Telefonat mit Transformationsforscher Jens Hollmann eine Idee davon, wohin die Reise gehen könnte: „Ich habe schon mehrmals im Leben neu angefangen und Dinge losgelassen, um zu schauen, was kommt und wo es mich hinzieht. Diese Suche nach dem ‚what makes you come alive‘ gepaart mit einem Grundvertrauen hat mich jedes Mal noch näher zu mir selbst gebracht.“
Und genau das wollte Michael Marchetti weitergeben. So wurde aus der theoretischen Idee einer Art „AMS für Piloten“ schlussendlich OneEightZero: ein Transformationsprogramm für Piloten, Flight Attendants, aber auch Airlines. „Die Flugbranche ist so unberechenbar wie nie zuvor. Umso wichtiger ist es, den Sinn im Leben zu finden und sich – wie etwa dem japanischen Ikigai-Modell entsprechend – zu fragen: Was liebe ich? Worin bin ich gut? Wofür werde ich bezahlt? Und last but not least: Was braucht die Welt? ‚Return to yourself‘ sozusagen. In der Fliegerei sprechen wir bei einer Umkehrkurve von einem one eight zero-turn. Und genau das ist es, was wir hier machen: Eine 180 Grad-Wende, bei der man den Blick auf sein Inneres richtet und dann Schritt für Schritt seine persönliche Zukunft findet und gestaltet“, so Michael.

OneEightZero-Wende (© Simon Fital, Unsplash)

OneEightZero: Ready to take off

Seit Mitte März 2022 ist OneEightZero am Start. Sieben Wochen lang durchlaufen die Teilnehmer spielerisch eine virtuelle Weltreise zu sich selbst. Im Rahmen von Videobeiträgen, Podcasts, Potenzialanalysen, Tasks, Tests, Zoom Calls und Coachings geben internationale Experten ihr Wissen zu Zukunftsthemen, Storytelling, Selbstführung und Leadership, Mindset und anderes mehr preis. „Am Ende weiß man, wer man ist, wo man steht und wohin man möchte. Dabei muss nicht jeder seinen Job als Pilot oder Flight Attendant aufgeben“, betont Michael. „Vielmehr geht es darum, Möglichkeiten aufzuzeigen. Manche brauchen einfach nur einen Plan B, der ihnen längerfristig als Option dienen und somit Sicherheit geben oder in Kombination mit der Fliegerei angegangen werden kann.“ Fliegen ist freilich für viele ein Traumberuf, von dem man schon als kleines Kind geträumt hat. Und das macht es auch so schwer, weiß der 49-Jährige:

„Manche glauben, nur in diesem Beruf glücklich zu werden – schließlich haben sie sich ihren Traum erfüllt. Für viele bricht also eine Welt zusammen, wenn sie nicht mehr fliegen können. Es ist fast so, als würde die Daseinsberechtigung abhandenkommen. Bei OneEightZero lernen die Teilnehmer, dass es auch andere Dinge gibt, die sie gerne und gut machen und worin sie Erfüllung finden können.“

Reise-Experiment

OneEightZero ist wie ein Experimentierraum – oder besser gesagt eine experimentelle Reise, die es einem ermöglicht, nach der Rückkehr rasch zu reagieren, wenn sich wieder etwas ändert. Und das ist wichtiger denn je, schließlich wird uns Corona mit all seinen Auswirkungen noch (etwas) länger erhalten bleiben. Der Krieg in der Ukraine, die Klimakrise und zahlreiche andere globale Entwicklungen machen zudem deutlich, dass sich die Welt verändert – und zwar rasanter als viele von uns denken.
Dass sich nicht nur die Welt, sondern eben auch die Flugbranche im Wandel befindet, wurde schon eingangs erwähnt. Stellt sich die Frage: Wie schaut dieser aus? Und vor allem: Wie nachhaltig und umweltfreundlich ist er? Laut Michael Marchetti ist man sich bei den Airlines durchaus darüber im Klaren, dass es so wie bisher nicht mehr weitergehen kann: „Auf Managementebene werden Überlegungen hinsichtlich Umstrukturierungen angestellt. Das Problem aber ist, dass die Flotten meist aus veralteten Flugzeugen bestehen, die wesentlich mehr Sprit verbrauchen als neue Maschinen. Am Ende des Tages sind die Alltagsprobleme allerdings meist größer und die finanziellen Mittel reichen nicht aus, um auf Maschinen umzurüsten, die umwelttechnisch besser abschneiden.“
Letzteres wäre freilich wichtig, ist doch Fliegen klimatechnisch ein großes Problem. Eine Thematik, über die sich das Flugpersonal zwar Gedanken mache, die viele jedoch verdrängen oder Gegenargumente finden. Für Michael verständlich: „Wer sich mit dieser Problematik genauer beschäftigt, stellt ja gleichzeitig sein eigenes Tun in Frage.“

Ein besonderes Zukunftsbild

Er selbst hat das getan und nicht nur den Job gekündigt, sondern sich außerdem Gedanken über ein nachhaltiges Zukunftsbild für die Luftfahrt gemacht. Geht es nach dem OneEightZero-Gründer müssen Flugreisen wieder zu Luxusgütern werden – so wie sie es bis in die 1990er-Jahre der Fall war. Dieses Rückbesinnen brauche es sowohl bei den Airlines, als auch vonseiten der Passagiere: „Ich möchte die Fliegerei gar nicht verbieten, denn sie bringt Menschen und Kontinente zusammen. Doch sie muss nachhaltig und zukunftsfähig werden. Einerseits durch neue, grünere Flieger. Andererseits aber vor allem durch eine Abkehr vom Billig-Image. Außerdem bräuchte es eine Reduktion der Masse. Die Menschen sollten sich überlegen, wann und wohin sie fliegen. Man sollte länger an dem Ort bzw. in der Region bleiben, Land und Leute kennenlernen, vielleicht sogar dort arbeiten. Fliegen muss wieder etwas Spezielles, etwas Besonderes werden, sodass die Menschen bereit sind, einen angemessenen Preis dafür zu bezahlen. Und dann wird es auch den Crews wieder besser gehen.“
Michael Marchetti hat vor über zwei Jahren eine Reise angetreten, mit der er nicht nur sein eigenes Leben einmal mehr komplett gedreht hat, sondern auch dazu beitragen wird, dass viele seiner ehemaligen Kollegen einen Transformationsprozess zu sich selbst durchlaufen können. Er allein wird die Welt der Fliegerei nicht verändern. Doch mit OneEightZero zeigen er und sein Team auf, was möglich ist.

 

Michael Marchetti (© OneEightZero)

 

Zur Person: Michael Marchetti

… Michael Marchetti wurde 1973 in Österreich geboren, studierte Geschichte, Philosophie und Literatur in Wien und Santiago de Chile, war in den 1990er-Jahre als Journalist für internationale Zeitungen, Radio- und Fernsehsender tätig und jobbte rund um die Jahrtausendwende zwei Jahre als Tauchlehrer in Mexiko und Kenia. Im Alter von 30 Jahren begann er eine neue Karriere als Pilot und wurde Kapitän von Businessjets, mit denen er Prominente, Politiker und Geschäftsleute flog. Michael ist mit der ehemaligen Nachrichtenmoderatorin und Psychotherapeutin Tiba Marchetti verheiratet, Vater von zwei erwachsenen Töchtern und Naturliebhaber.
www.oneeightzero.org

 

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weiter neu denken

Zum Jahresabschluss habe ich mir in einem Feedbackgespräch mit unserer Geschäftsführung gewünscht, dass ich im kommenden Jahr wieder mehr neues lernen möchte. Meinen Horizont erweitern und neue Perspektiven gewinnen möchte. Wer die Zukunft gestalten will, der muss offen für Neues sein – Neues aufsaugen, aufnehmen, inhalieren, die Dinge neu formen. So in etwa stellte ich mir das für 2023 zumindest vor. Irgendwie lebendig, aktiv und vorwärts.
Doch während der Feiertage bin ich in den inneren Diskurs gegangen. Das Jahr 2022 war für mich – um es in einem Wort zu sagen – voll. Voll im Sinne des sprichwörtlichen Fasses, dass nicht nur droht überzulaufen, sondern dies auch tat. Und so war mir plötzlich klar, dass mein Wunsch für 2023 nicht darin besteht, dieses bereits volle Fass weiter aufzufüllen. Vielmehr wünsche ich mir für das anstehende Jahr ein halb volles Fass – wobei die Betonung auf voll liegt, denn halb leer ist keine Option für mich.

Braucht es wirklich mehr?

Ich bin davon überzeugt, dass es viel positiver Energie von uns allen bedarf, eine gute und glückliche Zukunft zu gestalten. Doch wie soll das gehen, wenn wir ständig kurz vor dem Überlaufen stehen? Brauchen wir tatsächlich immer noch mehr Neues? Müssen wir uns wirklich kontinuierlich neues Wissen aneignen? Ist es sinnvoll bzw. erstrebenswert, im Hamsterrad von mehr, mehr und nochmals mehr zu bleiben? 
Meiner Meinung nach nein. Nicht höher, weiter und schneller sollte die Prämisse sein, sondern partizipativer, sinnhafter und empathischer. Achtsamer im Umgang mit unseren Ressourcen – unseren eigenen, die unserer Mitmenschen und die der Erde. Wir stehen vor großen Herausforderungen. Doch müssen wir Neues lernen, um diese Herausforderungen zu meistern und zu bestehen.

Verlernen, um zu lernen

Ich habe meine Zweifel und frage mich, ob wir nicht lieber verlernen sollten? Ein Verlernen von Glaubenssätzen, von Paradigmen, von „das haben wir schon immer so gemacht“. Können wir durch aktives Verlernen Raum für neue Perspektiven schaffen, Bilder einer Zukunft, die frei von den Grenzen der eigenen erlernten Kultur ist? Frei von den Grenzen im Denken der Möglichkeiten?
Je mehr ich darüber nachgedacht habe (und nach wie vor nachdenke), umso einfacher erscheint es mir, Neues zu lernen, als Bestehendes und Gewohntes zu verlernen. Und wer weiß: Vielleicht bietet gerade das Verlernen bzw. der Prozess des Verlernens ungeahnte Möglichkeiten für Veränderungen, Wandel und neue Erfahrungen?
Für mich ist Lernen Gegenwart. Verlernen ist Zukunft. Und lernen zu verlernen, um dabei zu lernen, ist Zukunftsgestaltung.

Über die Autorin…

Janina Clever leitet als Industrie Designerin bei Generationdesign in Wuppertal komplexe Design- und Strategieprojekte. Die studierte Arbeits- und Organisationspsychologin setzt auf nachhaltigen Mehrwert und Nutzen, der durch agile und interdisziplinäre Austauschformate und Arbeitsmethoden entsteht. Dabei sieht sie in der Fusion von digitalen und realen Formaten für die Zukunft noch unentdeckte Potenziale. Janina Clever ist außerdem Teil des Zukunftsrates von Zukunft Neu Denken.

 

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Müssen wir lernen zu verlernen?

Lebenslanges Lernen ist in aller Munde. Janina Clever aber fragt sich: Müssen wir tatsächlich immer mehr wissen? Oder sollten wir nicht lieber lernen zu verlernen?

2.562 Menschen starben 2021 auf Deutschlands Straßen, in Österreich waren es 359. In den meisten Fällen sind diese auf nicht angepasste Fahrgeschwindigkeit, Unachtsamkeit bzw. Ablenkung und Vorrangverletzung zurückzuführen. Mit anderen Worten: Verkehrsunfälle haben meist eines gemeinsam – nämlich menschliches Fehlverhalten. Und das lässt sich ändern. Schon durch das Einhalten von Tempolimits und sonstigen Vorschriften sowie durch kontrolliertes und achtsames Fahren könnte dazu beigetragen werden, dass sich die Zahl der Verletzten und Toten im Straßenverkehr deutlich reduziert. Und nicht zuletzt könnte jeder einzelne für die eigene Sicherheit sorgen. Denn Tatsache ist: Hinter jedem Steuer stecken Menschen und Geschichten.

Crash-Kurs

In der Verkehrspolitik spielt das Thema Verkehrssicherheit europaweit eine wichtige Rolle. So wurden beispielsweise Maßnahmen festgelegt, um bereits bei der Fahrzeugherstellung besonders gefährliche Stoffe zu vermeiden und die Wiederverwendung sowie Verwertung von Fahrzeugen mit Totalschaden und deren Bauteile zu intensivieren. Ein von der Versicherung festgestellter (wirtschaftlicher) Totalschaden bedeutet also nicht automatisch, dass das Fahrzeug Schrott ist. Schließlich besteht ein Auto aus rund 10.000 Einzelteilen, die von Hersteller zu Hersteller unterschiedlich sind. Universal-Teile gibt es nicht, was ein Crash-Fahrzeug in gewisser Weise zum begehrten Ersatzteillager macht. Das am häufigsten ausgebaute Ersatzteil, bevor ein Auto verschrottet wird, ist übrigens der Katalysator, in dem sich unter anderem seltene Metalle befinden.

Eine Frage der Mobilität

Die Frage aber ist nicht nur, was passiert mit geschredderten Fahrzeugteilen – die werden sortiert und weiterverarbeitet. Sondern auch: Was passiert mit dem Menschen, der hinter dem Steuer gesessen hat – egal, ob sein Auto aufgrund eines Unfalls auf dem Schrottplatz gelandet ist oder schlichtweg, weil es nicht mehr zugelassen werden konnte? Steht das neue, noch größere, noch schnellere, noch bessere Fahrzeug bereits in der Garage? Oder setzt man auf einen kleineren Straßenflitzer, auf E-, Hybrid- oder eine andere Alternative? Oder kommt man sogar ohne Auto durchs Leben? Steigt man möglicherweise auf ein motorisiertes Zweirad um oder tritt man gar in die Pedale? Und wie schaut es mit den Öffis aus?
Um all die Fragen auf einen Punkt zu bringen: Was braucht es, damit Mobilität in Zukunft anders gedacht wird bzw. werden kann?

 

Über den Fotografen

Die Bilder wurden von Bence Szalai aufgenommen. Der Fotograf und Filmemacher möchte den Blick des Betrachters auf die Details lenken. Er sieht seine Arbeit als das Radio, den Schallplattenspieler oder den Lautsprecher, über den die Musik abgespielt bzw. gehört wird und dessen Qualität das Hörerlebnis maßgeblich beeinflusst.
www.rnbpictures.com

 

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Disconnect,Fotostrecke

Nur ein Kratzer: Mobilität nach dem Schrottplatz

Hinter jedem Steuer steckt eine Geschichte. Warum ein Crash-Car mehr als nur Schrott ist und wieso wir Mobilität neu denken sollten. Eine Fotostrecke von Bence Szalai.

Im Kreuzworträtsel hat das Vertrauen in die Zukunft acht, manchmal zehn Buchstaben. Im echten Leben benötigen wir dafür wesentlich mehr Buchstaben. Und immer öfter fehlen uns die Worte, wenn es darum geht, vertrauensvoll in die Welt von morgen zu schauen. Das zeigte etwa eine im Frühjahr 2022 vom SORA-Institut durchgeführte Umfrage unter rund 24.000 jungen Österreichern zwischen 16 und 25 Jahren. Diese nämlich ergab, dass es nicht gerade zum Besten steht mit dem Vertrauen in die Zukunft. Vor allem der Krieg in der Ukraine (84 %) bereitet der Generation Z Sorgen, aber auch der Klimawandel (67 %), die immer breiter werdende Schere zwischen Arm und Reich (59 %) sowie Pandemie und Wirtschaftskrise (jeweils 55 %). Dass dabei nur wenig Vertrauen in die Zukunft aufkommt, habe laut Umfrage insbesondere damit zu tun, dass wir bei den großen Zukunftsthemen – von der zunehmenden ökonomischen Ungleichheit über den Klimawandel bis hin zur Pflegeproblematik, Energiewende und Bildung – schlecht unterwegs sind. Wobei mit „wir“ eigentlich die Politik gemeint ist, denn diese handle schon seit Jahren zu kurzfristig und zu populistisch, sind 88 % der Befragten überzeugt.
Dass auch andere Generationen – ob Y, X, Babyboomer oder wie sie sonst noch so heißen – eher misstrauisch in Richtung Zukunft schielen, bedarf wohl keiner weiteren Umfragen. Doch wäre es zu kurz gedacht, den politischen Entscheidungsträgern den schwarzen Peter zuzuschieben, sich zurückzulehnen und abwartend Däumchen zu drehen. Zum einen, weil es nicht so ausschaut, als würde sich die Politik alsbald und voller Tatendrang um die anstehenden Herausforderungen bemühen. Und zum anderen ist es nicht nur Aufgabe der Politik, sich um Lösungen für die aktuellen Probleme zu bemühen. Dessen sind sich die Jungen übrigens durchaus bewusst: So sind 71 % der Meinung, dass wir alle unseren Lebensstil verändern müssen, um beispielsweise den Klimawandel zu bekämpfen.

Es liegt an uns selbst

Dass wir das Ruder selbst herumreißen, Verantwortung übernehmen und mutig (voran)gehen können, stimmt positiv – zumindest mich. Eine entscheidende Rolle spielt dabei allerdings das Vertrauen. Dieses sorgt nämlich unter anderem dafür, dass wir uns wohlfühlen und zuversichtlich sind. Was aber, wenn man sich eben hinsichtlich der Zukunft mit dem Vertrauen schwertut? Wie soll man Zuversicht schöpfen, wenn einen nur mehr Sorgen und Ängste plagen? Wie soll man sich wohlfühlen, wenn sich alles nur noch schlecht anfühlt?
Was das Wohlbefinden angeht, sollten wir wissen, dass dieses weniger mit dem zusammenhängt, was kommt, als vielmehr mit dem, was ist und was war – also mit den aktuellen Erlebnissen sowie mit unseren Erinnerungen. In seinem Weltbestseller „Thinking, Fast and Slow“ beschreibt der Psychologe und Nobelpreisträger Daniel Kahnemann unter anderem das Konzept der zwei Selbste: So haben wir ein erlebendes Selbst, das sich andauernd mit der Frage beschäftigt: „Fühle ich mich gerade wohl oder tut es weh?“ und zugleich ein erinnerndes Selbst, dass die Frage beantwortet: „Wie war es im Großen und Ganzen?“ Kahnemann ist mittlerweile davon überzeugt, dass das eigene Wohlbefinden nicht nur damit zu tun hat, wie es uns mit dem, was wir gerade erleben, geht, sondern dass wir immer auch Urteile und Bewertungen über das bereits Erlebte einfließen lassen. Oder um es mit seinen Worten zu sagen:

„Wir müssen uns mit der Komplexität einer hybriden Sichtweise abfinden, bei der das Wohlbefinden beider Selbste berücksichtigt wird.“

Gehe ich nun davon aus, dass mein Wohlbefinden in der Zukunft sowohl davon abhängt, was ich in Zukunft erleben werde, als auch davon, was ich in der Vergangenheit erlebt habe, dann sollten wir doch alles daransetzen, heute schon positive Erinnerungen zu schaffen, sodass wir morgen eine Welt haben, in der wir uns wohlfühlen können.

Vertrauen lernen

Soweit so gut. Um das Vertrauen in die Zukunft steht es trotzdem noch nicht besser bestellt? Das mag daran liegen, dass wir in die Zukunft gar nicht vertrauen können. Nicht, weil sie sich chaotisch, alles andere als planbar und sicher präsentiert, uns im Gegenteil Rätsel aufgibt und die eine oder andere Sorgenfalte beschert. Das ist eine Tatsache, die wir akzeptieren und mit der wir leben müssen. Der Grund, warum wir der Zukunft nicht vertrauen können, ist, dass Vertrauen immer mit Menschen zu tun hat – mit uns selbst und mit unseren Mitmenschen, vom engsten Familienkreis über entfernt Bekannte bis hin zur Gesellschaft generell. Sowohl das Selbst- als auch das Vertrauen gegenüber anderen ist eng mit Erfahrungswerten verbunden. So haben wir beispielsweise schon früh gelernt, ob wir auf uns selbst und unseren Fähigkeiten und/oder auf andere Menschen bauen können. Vertrauen ist folglich eine erlernte Entscheidung. Und das ist gut, denn somit liegt es erstens an uns, ob wir vertrauen oder nicht. Und zweitens können wir es wieder lernen – sofern uns das Vertrauen abhandengekommen ist.

Hoffnungsvoll ins Morgen

Wenn wir vom Vertrauen in die Zukunft sprechen, geht es also darum, den eigenen Fähigkeiten als auch anderen Menschen zu vertrauen und darauf, dass man gemeinsam den Weg meistern wird. Es gilt, (wieder) Zuversicht zu erlangen und sich beim Gedanken an die Welt von morgen wohl zu fühlen. Das lässt die Hoffnung auf eine gute Zukunft immer noch nicht wachsen, schließlich – so das allgemeine „Totschlagargument“ – weiß niemand, was kommen wird. Befasst man sich aber genauer mit dem Thema Vertrauen, schaut die Sache anders aus.
Der deutsche Philosoph und Soziologe Georg Simmel (1858-1918) beschrieb Vertrauen als einen Zustand zwischen Wissen und Nichtwissen, eine „Hypothese künftigen Verhaltens“, auf die wir konkretes Handeln gründen. Wer vertraut, geht also bewusst und im guten Glauben davon aus, dass man selbst und/oder die Mitmenschen sich so oder so verhalten und dass sich in der Folge eine Sache so entwickelt, wie es versprochen wurde oder wie man es erhofft hat. Ob diese dann tatsächlich so eintritt, ist eine andere Sache und für den ersten vertrauensvollen Schritt gar nicht entscheidend. Viel wichtiger ist, dass wir Vertrauen als ein reißfestes Band begreifen, an dem wir uns auf dem Weg ins Neue, Unbekannte – oder eben in die Zukunft – anhalten und orientieren können, sogar dann, wenn Umstände (noch) unsicher erscheinen. Genauso aber sollten wir uns auch darüber im Klaren sein, dass sich Vertrauen ungeheuer schnell und durch kleinste Dinge zerstören lässt.

Was und wen bringst du mit?

Inwiefern wir anderen Menschen vertrauen (können), ist freilich so eine Sache. Doch uns selbst können oder vielmehr müssen wir auf jeden Fall vertrauen. Mit Blick in die Zukunft bedeutet das, sich seiner Fähigkeiten und Begabungen, seiner Charaktereigenschaften, seiner Werte und Haltungen bewusst zu werden. Diese sind sozusagen die Werkzeuge, die uns helfen, Situationen im Jetzt, aber auch im Morgen zu meistern und anstehende Aufgaben zu lösen.
Also: Über welche Fähigkeiten und Kompetenzen verfügst du? Was kannst du gut? Was kannst du, was viele andere nicht (so gut) können? Welche Kenntnisse und Leidenschaften treiben dich an? Worüber möchtest du immer mehr wissen? Was weckt deine Neugier, deinen Wissensdrang? Womit beschäftigst du dich intensiv – mehr als die meisten Menschen? Welche Werte vertrittst du? Welche Werte sind dir wichtig? Was gibt deinem Leben Sinn und Richtung? Welche Stärke macht dich aus, für welche Tugend stehst du, welche besondere Eigenschaft verkörperst du?
Neben all dem, was wir selbst mitbringen, kommt es auf Beziehungen, auf Gruppen und Gemeinschaften an, denen wir angehören. Womit wir wieder bei den Mitmenschen wären. Denn Tatsache ist: Gemeinsam können wir besser für unsere Interessen eintreten, uns gegenseitig motivieren und uns durch gegenseitiges Vertrauen stärken. Spätestens dann kennen wir des (Kreuzwort-)Rätsels Lösung und wissen, dass „Vertrauen in die Zukunft“ Hoffnung oder Zuversicht oder noch besser beides zusammen bedeutet.

 

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Christiane Mähr,Featured,Vertrauen

Vertrauen wir uns mal selbst – dann der Zukunft

Warum wir gar nicht in die Zukunft vertrauen können, was das mit Ängsten und Sorgen, Erinnerungen und Erlebnissen zu tun hat und warum wir es selbst in der Hand haben, mutig in die Zukunft zu gehen und dabei andere an der Hand nehmen sollten.