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Zukunftsgestaltung

Zum Jahresabschluss habe ich mir in einem Feedbackgespräch mit unserer Geschäftsführung gewünscht, dass ich im kommenden Jahr wieder mehr neues lernen möchte. Meinen Horizont erweitern und neue Perspektiven gewinnen möchte. Wer die Zukunft gestalten will, der muss offen für Neues sein – Neues aufsaugen, aufnehmen, inhalieren, die Dinge neu formen. So in etwa stellte ich mir das für 2023 zumindest vor. Irgendwie lebendig, aktiv und vorwärts.
Doch während der Feiertage bin ich in den inneren Diskurs gegangen. Das Jahr 2022 war für mich – um es in einem Wort zu sagen – voll. Voll im Sinne des sprichwörtlichen Fasses, dass nicht nur droht überzulaufen, sondern dies auch tat. Und so war mir plötzlich klar, dass mein Wunsch für 2023 nicht darin besteht, dieses bereits volle Fass weiter aufzufüllen. Vielmehr wünsche ich mir für das anstehende Jahr ein halb volles Fass – wobei die Betonung auf voll liegt, denn halb leer ist keine Option für mich.

Braucht es wirklich mehr?

Ich bin davon überzeugt, dass es viel positiver Energie von uns allen bedarf, eine gute und glückliche Zukunft zu gestalten. Doch wie soll das gehen, wenn wir ständig kurz vor dem Überlaufen stehen? Brauchen wir tatsächlich immer noch mehr Neues? Müssen wir uns wirklich kontinuierlich neues Wissen aneignen? Ist es sinnvoll bzw. erstrebenswert, im Hamsterrad von mehr, mehr und nochmals mehr zu bleiben? 
Meiner Meinung nach nein. Nicht höher, weiter und schneller sollte die Prämisse sein, sondern partizipativer, sinnhafter und empathischer. Achtsamer im Umgang mit unseren Ressourcen – unseren eigenen, die unserer Mitmenschen und die der Erde. Wir stehen vor großen Herausforderungen. Doch müssen wir Neues lernen, um diese Herausforderungen zu meistern und zu bestehen.

Verlernen, um zu lernen

Ich habe meine Zweifel und frage mich, ob wir nicht lieber verlernen sollten? Ein Verlernen von Glaubenssätzen, von Paradigmen, von „das haben wir schon immer so gemacht“. Können wir durch aktives Verlernen Raum für neue Perspektiven schaffen, Bilder einer Zukunft, die frei von den Grenzen der eigenen erlernten Kultur ist? Frei von den Grenzen im Denken der Möglichkeiten?
Je mehr ich darüber nachgedacht habe (und nach wie vor nachdenke), umso einfacher erscheint es mir, Neues zu lernen, als Bestehendes und Gewohntes zu verlernen. Und wer weiß: Vielleicht bietet gerade das Verlernen bzw. der Prozess des Verlernens ungeahnte Möglichkeiten für Veränderungen, Wandel und neue Erfahrungen?
Für mich ist Lernen Gegenwart. Verlernen ist Zukunft. Und lernen zu verlernen, um dabei zu lernen, ist Zukunftsgestaltung.

Über die Autorin…

Janina Clever leitet als Industrie Designerin bei Generationdesign in Wuppertal komplexe Design- und Strategieprojekte. Die studierte Arbeits- und Organisationspsychologin setzt auf nachhaltigen Mehrwert und Nutzen, der durch agile und interdisziplinäre Austauschformate und Arbeitsmethoden entsteht. Dabei sieht sie in der Fusion von digitalen und realen Formaten für die Zukunft noch unentdeckte Potenziale. Janina Clever ist außerdem Teil des Zukunftsrates von Zukunft Neu Denken.

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Müssen wir lernen zu verlernen?

Lebenslanges Lernen ist in aller Munde. Janina Clever aber fragt sich: Müssen wir tatsächlich immer mehr wissen? Oder sollten wir nicht lieber lernen zu verlernen?

Das Haus Nr. 24 in Muntlix blickt auf eine über 550 Jahre alte Geschichte zurück. Immer wieder ging es mit der Zeit. Aktuell sind es Silvia Keckeis und Johannes Lampert, die das nächste Kapitel schreiben und Hägi Wendls (der Name geht auf Wendelin Längle zurück, dessen Sohn Petrus 1820 vom Hägi-Rank in Buchebrunnen nach Muntlix geheiratet hat) in die heutige Zeit übersetzen – durch eine Teilöffnung des Privaten ins Kulturelle, ein Neudenken von Raum und Zuhause sowie von Baustelle und Zusammenarbeit.

 

 

2020 suchte der Masterstudienlehrgang BASEhabitat der Universität Linz ein Objekt, wo angehende Architekten Baupraxis sammeln konnten. Ende 2020 und 2021 absolvierten Studenten ihr Praxissemester in Muntlix. Drei Monate lebten und arbeiteten sie direkt „am Bau“ und sammelten Erfahrung. Im Juli 2021 öffnete man zudem Tür und Tor für die BASEhabitat SummerSchool. Von größter Bedeutung war und ist natürlich das Wissen lokaler Handwerker, die außerdem bereits war, sich auf ein Experiment einzulassen – schließlich bergen alte Substanzen viele Überraschungen. Gemeinsam wurden Kaminziegel, Holzdielen, Bauschutt und Glaswolle aus dem Haus getragen, um der Kubatur schließlich neue Ideen und nachhaltige Baustoffe wie Lehm, Holz und Stroh zurückzugeben, Gebrauchtes wiederzuverwenden und Überholtes zu entfernen.

 

 

Hägis Wendl wird zum Kulturraum

Nachdem dem Haus nun neues Leben eingehaucht wurde, kann der nächste Schritt getan und weiter- bzw. neu gedacht werden. So soll die Nummer 24 nicht nur Wohnhaus sein, sondern vor allem auch ein Haus für Bodenkultur: Der Heuboden wird zum Kulturraum und damit zu einem Ort des Austausches, für Konzerte, Vorträge, Seminare oder einfach nur Abende mit guten Gesprächen. Von klassischen Auseinandersetzungen bis hin zu bizarren Ideen. Auf jeden Fall aber eine Adaption im Sinne eines kontinuierlichen Unterwegsseins, denn wer sich erst einmal auf den Weg gemacht hat, findet immer Gründe für die Schritte, die man schon gesetzt hat.

 

 

Mehr Infos zum Haus: www.haegiwendls.at

Über den Fotografen

Die Bilder von Hägi Wendls wurden von Bence Szalai aufgenommen. Der Fotograf und Filmemacher möchte den Blick des Betrachters auf die Details lenken, die einem Gebäude seinen Charakter gibt. Er ist davon überzeugt, dass er „durch das Festhalten der Architektur aus einzigartigen perspektiven die Arbeit der Architekten ergänzen und gleichzeitig etwas Neues schaffen kann“.
www.rnbpictures.com

 

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Hägi Wendls – ein Haus geht mit der Zeit

Junge Menschen haben einem jahrhundertealten Haus neues Leben eingehaucht. Entstanden ist ein Wohn- und Kulturraum, wo Gründe gefunden werden, weitere Schritte zu setzen.

Seit jeher erzählen uns Märchen, wie die Welt einmal war, und dass der Held und die Prinzessin noch heute leben, wenn sie nicht gestorben sind. Warum tun wir das? Warum erzählen wir den Kindern Geschichten aus längst vergangenen Tagen? Wobei Letzteres gar nicht stimmt, denn sprechende Wölfe, Froschkönige, Erbsen sortierende Stieftöchter und sieben Zwerge hinter sieben Bergen hat es auch anno dazumal nicht gegeben. Dabei können Fantasiewelten dabei helfen, die Zukunft abzubilden und eine Zukunftsstory zu schreiben. Nicht jedoch, wenn sie derart grausam daherkommen, wie das in vielen Märchen der Fall ist. Wie also sollen Kinder, die allabendlich mit solchen Geschichten konfrontiert werden, zu Menschen heranwachsen, die die Zukunft gestalten wollen?
Natürlich könnte man nun argumentieren, dass es bisher ja funktioniert habe. Wobei man sich dann halt auch die Gegenfrage gefallen lassen muss: Und wohin hat uns das gebracht? Wir leben in einer Welt, in der es für viele darum geht, Besitz anzuhäufen und sich Sorgen darüber zu machen, all die vielen Dinge zu verlieren, von denen man nur einen Bruchteil tatsächlich braucht. Damit nicht genug machen wir uns fortwährend Gedanken über die Vergangenheit und können vielfach nicht akzeptieren, dass das Gestern schlicht und ergreifend vorbei ist. Wir können es nicht ändern, ärgern uns dessen ungeachtet maßlos über Schnee von gestern und sind gleichzeitig davon überzeugt, dass früher alles besser war. Irgendwie hat das schizophrene Züge und doch kann es einen ja gar nicht wundernehmen, wenn wir schon im Kindesalter auf „Es war einmal…“ getrimmt werden.

Erinnerungen an die Zukunft

Wobei es ohnehin müßig ist, sich Gedanken darüber zu machen. Vielmehr drehen wir uns dabei im Kreis, denn positive Zukunftsbilder können nicht gezeichnet werden, wenn wir in der Vergangenheit verhaftet bleiben – ganz egal, ob sie uns vor lauter Ärger weiße Haare beschert oder verherrlicht wird. Und so wird einmal mehr der Ruf nach neuen Narrativen laut. Für manche mag der Begriff abgelutscht sein, weil er in den letzten 20 bis 30 Jahren durchaus inflationär verwendet wurde. Andere wiederum verstehen die ganze Aufregung nicht, denn laut Duden handelt es sich schlichtweg um eine sinnstiftende Erzählung. Und man muss dem Narrativ auch nicht mehr Bedeutung beimessen, als nötig. Aber man kann – vorausgesetzt es hält, was es verspricht. Wenn es einer Geschichte nämlich gelingt, sinngebende Werte und positive Emotionen zu transportieren, kann sie wesentlich dazu beitragen, den Menschen Orientierung, Klarheit und Sicherheit zu bieten. Und genau das brauchen wir, wenn wir die Zukunft selbst in die Hand nehmen und optimistisch in die Welt von Morgen und Übermorgen schreiten möchten.
Wollen wir also die Zukunft gestalten, müssen wir anfangen, Geschichten über sie zu schreiben und zu erzählen. Und zwar in der Form, dass sie die Hörer und Leser nicht nur mitreißen und in ihren Bann ziehen, sondern dass sie selbst zu Protagonisten werden wollen und können. Wir brauchen mutige und motivierende Zukunftsstorys, die Lust auf mehr machen. Vor allem wenn die Zukunft nur mehr schwarz gemalt wird, wie das seit geraumer Zeit von den Entscheidungsträgern und Medien getan wird. Es wird Angst geschürt und Verzweiflung gesät, sodass die allgemeine Lethargie beständig zunimmt und zu einem gesellschaftlichen Stillstand geführt hat, der historisch betrachtet seinesgleichen suchen kann. Sir Anthony Hopkins hat einmal gesagt:

„We live in a world where the funeral is more important than the diseased, wedding is more important than love, external looks are more important than brains. We live in a culture of wrapping that despises the content.“

Von dieser Welt dürfen – nein, müssen wir uns wieder verabschieden. Wir müssen die Verpackung mit Inhalt füllen, Neugier und Experimentierfreude statt Passivität an den Tag legen und mit einem kreativen, intuitiven und neuen Mindset an die Zukunft herangehen. Wir müssen eine Zukunftsstory schreiben, die Erinnerungen an die Zukunft schafft. Das klingt auf den ersten Blick absurd, schließlich können wir uns nur an Dinge erinnern, die bereits passiert sind. Erinnerungen sind immer an Erfahrungen gekoppelt, die wir in der Vergangenheit gemacht haben. So zumindest haben wir es gelernt – in der Schule und im wahren Leben. Gut und verständlich erzählte, inhaltlich emotionale und vor allem sinnstiftende Erzählungen über die Zukunft können sich allerdings auch in der Erinnerung einprägen. Dabei ist es einerlei, ob wir als Individuum in die Rolle des Hauptdarstellers unserer eigenen Zukunftsstory schlüpfen oder ob ein Unternehmen eine Art Simulation entwirft, wie der Betrieb in Zukunft ausschauen, mit welchen Produkten und Dienstleistungen er seine Kunden im wahrsten Sinne des Wortes beglücken und welche Vision(en) er verfolgen wird.

Narrative Zukunftsstory

Je besser die Geschichte ist und auch vermittelt wird, umso eher kann das menschliche Gehirn diese Zukunftserinnerungen tatsächlich abspeichern. Und das ist ganz wesentlich, weil wir derart positive Erinnerungen brauchen, um eine zukunftsaffine und zukunftsoffene Einstellung, Denkweise, Haltung, Mentalität und Weltanschauung zu etablieren. Nur so kann sich ein Mindset entwickeln, das uns optimistisch in die Zukunft blicken und gehen lässt.
Eine wichtige Voraussetzung, um eine reale und somit möglichst realisierbare Zukunftsstory zu schreiben, ist ein gewisses Grundwissen über die Zukunft. Das heißt nicht, dass wir nun alle Experten im Bereich der Zukunft oder gar Zukunftsforscher werden müssen. Ebenso wenig müssen wir jeden Megatrend im kleinsten Detail kennen. Das ist zum einen gar nicht möglich und wäre zum anderen auch der falsche Ansatz. Denn, wenngleich das Aufzeigen von Megatrends wichtig ist, fühlt sich der Einzelne oftmals von ihnen überfordert. Kein Wunder, schließlich handelt es sich dabei um Umschwünge, die sich auf unterschiedlichsten Ebenen der Gesellschaft vollziehen. Das passiert nicht von heute auf morgen, sondern vielmehr langsam über einen längeren Zeitraum. In Zeiten wie diesen darf man sich zwar berechtigterweise fragen, was man unter langsam versteht. Doch Fakt ist: Mega ist für viele schlichtweg eine Spur zu groß, weil sie die Trends nicht auf das eigene Leben, das eigene Unternehmen herunterbrechen können. Das ist aber gar nicht nötig. Solange wir die großen Veränderungen im Blickfeld haben, uns mit den verschiedenen Möglichkeiten auseinandergesetzt und ihnen einen Raum gegeben haben, sind wir schon mal gut aufgestellt. So nämlich können wir uns auf die Reise machen, die eigenen Zukünfte in Geschichten abzubilden.

Erzähl‘ mir vom Morgen

Bei der Future Design Akademie vergleicht man die Zukunft mit einer Knetmasse, die es zu formen gilt. Und das passiert nicht (nur) mit den Händen, sondern im ersten Schritt mit den Gedanken. Freilich kann niemand die Zukunft vorhersagen, schließlich wurde die Glaskugel noch nicht erfunden – und hoffentlich wird das nie der Fall sein, denn wenn wir alles wüssten, könnten wir die Zukunft nicht mehr gestalten.
Auf Urdu, der Nationalsprache von Pakistan, gibt es den Begriff goya: Eine Geschichte, die so gut erzählt wurde, dass kein Zweifel mehr aufkommen kann, dass sie real ist bzw. sein könnte. Genau so müssen wir unsere Zukunftsstory schreiben, denn ein Märchen wollen wir niemandem aufbinden. Schon gar nicht wollen wir eine Zukunft, die wir uns nicht einmal in den schlimmsten Träumen ausgemalt hätten – wer will schon vom Wolf gefressen werden?! Das bedeutet nicht, dass wir nur von kunterbunten Blumenwiesen mit eierlegenden Wollmilchsäuen im Schlaraffenland erzählen. Eine gute Geschichte über die Zukunft muss Probleme benennen, Risiken aufzeigen und Herausforderungen im Blick haben, dann nämlich können sie auch gemeistert werden. Dann können wir am Ende als Helden reüssieren.
…und wenn wir heute damit anfangen, werden wir es morgen noch (er)leben.

 

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Christiane Mähr,Gestaltbarkeit

Zukunftsstory: Es wird einmal sein…

Wir müssen anfangen, Geschichten von der Zukunft zu erzählen, sodass wir uns heute schon an das Morgen erinnern können. Wie das geht und warum wir dabei selbst in die Rolle des Helden unserer eigenen Zukunftsstory schlüpfen dürfen.

Viele fühlen sich von der „VUCA-Realität“ ausgebremst. Die Fragen nach dem Sinn eines Unternehmens rücken in den Hintergrund, schließlich muss man alles tun, um in dieser unbeständigen, unsicheren, komplexen und mehrdeutigen Welt zu überleben. Dabei wäre es doch gerade jetzt von immenser Bedeutung, sinnstiftend und zukunftsfähig zu agieren – als Unternehmen, als Gesellschaft, als Individuum.
Nun, das Umfeld hat sich immer schon geändert und wird sich immer ändern. Es ist allerdings eine Frage der Haltung, ob man diese VUCA-Welt als Problem bzw. Gefahr betrachtet, oder ob man sie als Option, als Möglichkeit für Gestaltung sieht: Als etwas, mit dem man umgehen kann, das einem die Chance bietet, Dinge zu verbessern, etwas zu bewirken und zu gestalten. Für manche ist etwa die Klimathematik schlichtweg eine Gefahr. Andere sagen: „Das kann ich gestalten. Ich kann meine Lebensweise anpassen oder sogar Dinge kreieren, mit denen ich etwas dagegen tun kann.“
Am Ende des Tages stellt sich die Frage: Gehört man zu den Gestaltern oder zu den Verwaltern? Und zwar sowohl als Individuum, als auch als Organisation oder Gesellschaft. Unternehmen, die darin einen Sinn sehen, ihr Produkt, ihre Dienstleistung, ihr Tun zu verbessern, neu zu gestalten, damit sie in dieser VUCA-Welt überleben können, sind Gestalter. Und dann gibt es jene, die das Bestehende unter dem Deckmantel des Bewahrens verwalten wollen, denn die Zukunft ist ja vor allem unsicher. Doch wer aus einem Sicherheitsbedürfnis heraus agiert, sieht die Zukunft eher dunkel und dystopisch. Diese Haltung hat vielleicht einen Zweck, wenn man verwalten will, macht allerdings wenig Sinn, wenn es darum geht, die Zukunft zu gestalten. Das Problem ist, dass die Verwalter derzeit dominieren – sowohl in Unternehmen als auch in der Politik.

Viele empfinden es halt als gefährlich, ohne „Sicherheitsnetz“ in die Zukunft zu gehen – vor allem im Managementbereich, so scheint es.
Ja, aber so gelingt Gestaltung und damit Zukunftsarbeit nun mal nicht. Wenn man ständig absichern will, was zu tun ist, wenn man Optionen hin- und herschiebt, Prämissen und Ziele festlegt, verwaltet man bloß die Rahmenbedingungen. In so einem Umfeld kann Gestaltung nicht stattfinden, da es gar keine Räume für Entfaltung gibt. Früher war das Sicherheitsdenken nicht so dominant. Das ist erst mit einer Veränderung in den 1990er Jahren aufgekommen. Seither wurde Zukunft mehr und mehr zum Verwaltungsfeld.
Dabei ist es durchaus verständlich und auch legitim, dass das Management Dinge absichern und Controlling-Systeme einbauen möchte. Der Begriff kommt ja vom Lateinischen „manare“, also jemanden bei der Hand nehmen. Viele Entwicklungen benötigen Absicherung, Kontrolle und Zielsetzungen. Aber fürs Neue benötigen wir immer auch Gestaltung, Entwicklung und Freiraum. Otl Aicher, einer der prägendsten deutschen Gestalter, hat einmal gesagt: „Entwürfe werden in die Welt geworfen.“ Nur so ergeben sich Möglichkeiten, Neues und Besseres zu gestalten. Ein Gestalter wirft einen Entwurf auf – hoffentlich – fruchtbaren Boden, wie ein Samenkorn, damit daraus Wertvolles entsteht. Ein Verwalter möchte am liebsten den Apfel gleich ernten können. Für ihn ist das Risiko, dass der Entwurf nichts wird, zu gefährlich und zu ressourcenverschlingend.

Du bist ja nicht nur Unternehmensberater, sondern leitest an der Hochschule Luzern auch den CAS-Studiengang Design Management – ein Begriff, der an sich wie ein Widerspruch in sich erscheint.
Ja, wobei er eigentlich die zwei Pole bezeichnet, die in Verbindung gebracht werden müssen. Es geht nicht darum, das Design zu managen oder das Management zu gestalten. Es geht um das Zusammenbringen beider Aspekte. Design und Management bzw. Gestaltung und Verwaltung sind die beiden Standsäulen einer Organisation, wobei Gestaltung ihre primäre Funktion ist und Verwaltung als Support dient, und damit sicherstellt, dass Gestaltung überhaupt stattfinden kann. Mit Gestaltung entstehen die Leistungen, mit der Verwaltung werden diese ermöglicht. Idealerweise sollte es so sein, aber in den meisten Unternehmen ist es heute leider umgekehrt: Dort ist die Verwaltung die primäre Funktion. Und dort, wo CEOs reine Verwalter sind, für die vor allem Zahlen und weniger die Kunden zählen, entstehen keine Visionen für die Zukunft. Eigentlich ist ein CEO wie ein Hausmeister: absolut wichtig, aber eben nur unterstützend! Wahres Unternehmertum macht sich darüber Gedanken, was man tun kann, damit Produkte und Dienstleistungen für die Kunden und Mitarbeiter sinn- und zweckvoll sind.
Wir merken das auch in der Gesellschaft: Die Welt wird von der Politik normiert, kartografiert, in Gut und Böse eingeteilt und dadurch – scheinbar – verwaltbar gemacht. In so einem Umfeld kann keine Zukunft gestaltet werden, denn dafür brauchen wir Offenheit, Experimentierfreude und Gestaltungsperspektiven. Wir müssen endlich akzeptieren, dass sich die Dinge verändern und dass das weniger Gefahren mit sich bringt, sondern Möglichkeiten. Als Kind akzeptiert man ja auch, dass man auf dem Spielplatz hin- oder irgendwo herunterfallen kann. Für Kinder ist freies Gestalten viel wichtiger als sicheres Verwalten. Warum nicht auch für uns Erwachsene?

Beim Hinfallen könnte man halt auf die Nase fallen und das würde weh tun. Also lieber alles beim Alten belassen.
Dieses vorherrschende Verwaltungsdenken macht uns aber Gestaltungsthemen gegenüber blind und gaukelt uns Sicherheit vor. Dadurch verlernen wir, uns auf das eigene Potenzial zu verlassen. Und die Frage ist doch: Was steckt für eine Einstellung hinter dem Bewahren und Verwalten? Was projizieren wir dadurch in die Welt? Was sind das für Denkmuster und was bedeutet das für Die Zukunft?
Als ich in den 1960er, -70er Jahren aufgewachsen bin, war die Zukunft grandios. Die Gegenwart hingegen war weitaus schlimmer als heutzutage – meiner Meinung nach zumindest. Damals hieß es: Die Zukunft kann nur besser werden. Heute ist das anders. Heute erwartet man sich für die Zukunft nur mehr Schlechtes.

Die Menschen bekommen das ja täglich vorgekaut: Erst Corona, jetzt der Krieg in der Ukraine mit all seinen negativen Folgen, die erst in den kommenden Monaten so richtig bemerkbar werden. So zumindest der allgemeine Tenor.
Stimmt. Umso wichtiger ist es, dass wir an einer besseren Zukunft arbeiten und diese gestalten wollen. Dafür brauchen wir De-Eskalation und vielfältige Entwürfe, die Optionen sind. Das ist allerdings schwieriger als die Eskalation auf Basis von Zielsetzungen und Vorgaben. Uns fehlen die Politiker, die gestalten können, und die Bürger, die dies einfordern. Es ist nicht einfach, weil wir uns gemeinsam Gedanken darüber machen müssen, was denn die unerwünschte und was die erwünschte Zukunft für alle sein könnte. Das Problem dabei ist: Sobald brillante Ideen in den Raum geworfen werden, werden diese von den Verwaltern in gut und schlecht eingeteilt. Und gut ist, was sicher und verwaltbar ist. Wir müssen wieder lernen, Ideen, Meinungen, Vorschläge, Entwürfe des Gegenübers zu akzeptieren, sie im Raum stehen zu lassen, ohne gleich zu urteilen und von vornherein die Dinge kontrollieren zu wollen. Das nämlich erstickt die Zukunft im Keim.

DM-Gründer Götz W. Werner hat den Begriff der „unternehmerischen Disposition“ geprägt, in der der Mitarbeitende „stets in die Zukunft gerichtet handelt, vordenkt, sich ein Bild schafft“ und somit sich und das Unternehmen gestalterisch in die Zukunft führt. Wie können wir es schaffen, dass jeder so denkt und handelt?
Indem wir es den Kindern von klein auf beibringen, statt sie ständig auszubremsen und ihr Potenzial zu untergraben. Unser Schulsystem ist ja auch ein Verwaltungssystem: Da werden Kinder in Klassen gesteckt, wo sie wie am Produktionsband lernen sollen. Dabei wird der Mensch als Gestalter geboren und nicht als Verwaltungsobjekt. Und um ehrlich zu sein, mache ich mir in der Hinsicht wirklich Sorgen, denn ich habe das Gefühl, dass Menschen so zu Sicherheitsfanatikern großgezogen werden. Eine Generation von sorgenvollen Unsicherheitsvermeidungsmenschen, die nur mehr damit beschäftigt sind, die Gefahren von vornherein zu vermeiden, um so vermeintliche Sicherheiten zu haben. Aber wie soll so eine bessere Zukunft entstehen? Gestaltung benötigt Freiheit, nicht Sicherheit!

Was können wir tun – abgesehen davon, dass das Bildungssystem komplett reformiert gehört?
Jeder Mensch sollte sich darüber im Klaren sein, dass er sowohl einen Gestalter als auch einen Verwalter in sich hat. Es ist wie ein Pendel, das unser ganzes Leben lang hin- und herschwingt. Entsprechend gilt es, immer wieder Unsicherheitsvermeidung zu überwinden und Entwurf und Gestaltung zuzulassen. Dafür aber brauchen wir dringend vertrauensstiftende, lebensbejahende, positive Signale und Impulse, sodass die Menschen wieder mit dem Potenzial der Gestaltungsfähigkeit arbeiten können.

Wir brauchen also eine Bewegung von Menschen, die sozusagen für ihr gestalterisches Geburtsrecht kämpfen.
Ja, eine zukunftsbejahende Bewegung. Wir brauchen eine gestalterische Kultur, die auf Zuversicht und Gestaltungswille aufbaut. Durch ständiges Absichern kommen wir nicht weiter und schon gar nicht durch Konflikte. Wenn wir nur klare Kante zeigen, werden wir daran zugrunde gehen. Wir brauchen Kompromisse, die einem Gestaltungswillen entspringen. Wir brauchen einen wirklich gesunden Wettbewerb ums Bessere, und nicht Kriege um die Verwaltungshoheit.

Fehlt es uns an der Fehlerkultur?
Das ist in meinen Augen ein irreführender Begriff. Fehler machen ist nie gut. Fehler will und sollte jeder vermeiden. Viel besser wäre es doch, wenn wir eine Entwurfskultur hätten. Ich kann den ganzen Tag experimentieren, neue Dinge versuchen und Entwürfe in den Raum werfen. Manches wird funktionieren, anderes nicht. Noch besser wäre eine Kombination aus Entwurfs- und Exzellenzkultur: Zuerst entwerfen wir neue Lösungen und die, die funktionieren, verbessern wir dann solange, bis sie exzellent sind.

Momentan aber geht es leider gar nicht in diese Richtung…
Nein, wir stecken gerade in der Talsohle des Elends fest, schüren Ängste und verknappen Ressourcen. Und es wird meiner Meinung nach noch ein paar Jahre dauern, bis wir aus diesem Tief wieder herauskommen. Bis es jemand schafft, die Menschen davon zu überzeugen, dass die Perspektive für die Zukunft die Gestaltung ist, nicht die Verwaltung. Allerdings fehlen uns aktuell die großen Gestalter, die ein utopisch-annehmbares Bild der Zukunft zeichnen und denen man folgen möchte. Oder anders gesagt: Es dominieren die Verwalter, deren Ziele und Maßnahmen uns davon abhalten eine bessere Zukunft zu gestalten.

Wenn wir alle als Gestalter geboren werden, könnten wir doch auch alle Visionäre sein.
Ja, auf jeden Fall! Dafür müssen wir aber erst einmal den Verwalter in uns zurückdrängen. Dann müssen wir damit Frieden schließen, dass in der Vergangenheit Fehler gemacht wurden, und dass es Dinge gibt, die man nicht kontrollieren kann, dass Unsicherheit Fakt ist. Außerdem müssen wir uns vergewissern, dass wir immer die Möglichkeit haben, die Dinge besser zu machen. Wir müssen bereit sein, Entwürfe und Lösungen ergebnisoffen miteinander zu diskutieren und sie dadurch ständig zu optimieren. Womit wir wieder bei der Entwurfs- und Exzellenzkultur wären.

Vielen Dank, Jan-Erik, für dieses sehr tolle Gespräch.

 

 

Zur Person: Prof. Jan-Erik Baars

…berät Unternehmen in der effektiven und umfassenden Nutzung des Designs. Zudem leitet der in den Niederlanden aufgewachsene, gebürtige US-Amerikaner, der heute in Kempen (D) lebt den CAS-Studiengang Design Management an der Hochschule Luzern (CH). Zuvor war der Autor von „Leading Design“ fast 20 Jahre lang als Industriedesigner und zum Schluss als Leiter Design bei Philips in Eindhoven sowie Wien tätig und zeichnete von 2009 bis 2011 für das Designmanagement der Deutschen Telekom in Bonn verantwortlich.
www.janerikbaars.com

 

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Gestaltbarkeit,Im Gespräch mit...

Die Perspektive für die Zukunft ist die Gestaltung

Jan-Erik Baars arbeitet seit über 25 Jahren an der Schnittstelle zwischen Design und Management und ist überzeugt, dass wir die Zukunft ohne Sicherheitsnetz gestalten müssen. Ein Gespräch über in den Raum geworfene Entwürfe, die Notwendigkeit der De-Eskalation, sorgenvolle Unsicherheitsvermeidungsmenschen und Visionäre, die eine Entwurfs- und Exzellenzkultur leben.