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Zukunftsdiskurs

Mit dem Dokumentarfilm „Die Zukunft ist besser als ihr Ruf“ habt ihr 2017 ein positives Bild der Zukunft gezeichnet, während ansonsten schon damals gefühlt nur von Krisen gesprochen wurde. Hat sich deine Sicht auf die Zukunft durch diesen Film verändert?
Produzent Michael Kitzberger wollte Menschen vor die Kamera holen, die sich gesellschaftlich engagieren, die einer eigenen Überzeugung folgen und Dinge angehen, die nicht nur für sie selbst, sondern auch für ihre Umwelt wichtig sind. Menschen, die durch ihr Tun Hoffnung geben, Mut machen und inspirieren. In der Schnittphase haben wir nochmals über den Titel nachgedacht. Und zufällig bin ich beim Theater in der Josefstadt über den Satz „Die Zukunft ist besser als ihr Ruf“ gestolpert. Das ganze Team war sich einig, dass das der richtige Titel ist, schließlich setzen sich alle Protagonisten für eine Zukunft ein, die ihnen lebenswert, menschlich nahbar und ökologisch sinnvoll erscheint. Der Film ermöglicht eine Art des Innehaltens, bietet eine kurze Irritation inmitten des ganzen „schlecht Redens“, sodass die Zuschauer hinterfragen können, was sie selbst über die Zukunft glauben und wie diese sein könnte. Auch ich frage mich oft: Was kann ich selbst beitragen, damit die Zukunft besser wird als ihr Ruf? Was braucht es, damit Menschen Handlungen setzen und ihre eigenen Potenziale ausloten im Hinblick auf das, was möglich ist? Und: Sind diejenigen, die glauben, einen neuen Weg gefunden zu haben, offen genug, in weiterer Folge möglicherweise etwas wieder zu integrieren, was man zuvor weggeschoben hat?

In vielen Dingen braucht es sicherlich eine gewisse Radikalität, damit bestehende Dinge überhaupt aufbrechen können, aber eben auch den kritischen Diskurs im Anschluss.
Ja, die Fähigkeit, in der eigenen Bubble etwas Neues, etwas Anderes auszuprobieren. Aber eben auch etwa im zwischenmenschlichen Dialog herauszufinden, was nicht funktioniert, was man wieder bzw. noch ändern sollte usw. – das ist ein anspruchsvoller Prozess. Ich durfte sehr früh miterleben, was es heißt, neue Weg zu gehen, von denen viele sagten: Das geht doch nicht Und es hat mich sehr geprägt, als Teil einer Gruppe von Pionieren aufgewachsen zu sein. (Teresas Vater hat 1990 in Herzogenburg eine alternative Schule gegründet – heute Lernwerkstatt im Wasserschloss in Pottenbrunn, Niederösterreich; Anm.)

Hast du vielleicht aus diesem Grund den Beruf der Filmemacherin gewählt, bei dem du viel gestalten kannst?
Es war weniger eine bewusste Entscheidung, als vielmehr ein innerer Ruf. Irgendwann hatte ich die Klarheit, dass das mein Platz ist. Ich denke mir gerne neue Sachen aus. Da kommt es mir sehr zugute, dass ich das als Künstlerin auch umsetzen kann. Wobei die frühe Prägung sicherlich eine Rolle gespielt hat, denn selbst wenn alle sagen, dass etwas nicht geht, kann es trotzdem funktionieren. Anfangs habe ich diesen Glauben an die Möglichkeit des Gestaltens vielleicht mit einer gewissen Naivität weitergetragen und musste auch feststellen, wo die Grenzen aus der individuellen Position heraus liegen.

Mittlerweile aber machst Du Filme, die motivieren. Die meisten Dokumentarfilme hingegen zeichnen dystopische Zukunftsbilder.  
Nun, Dokumentarfilme beschäftigen sich mit der Realität und haben durchaus die Aufgabe, Missstände aufzuzeigen. Allerdings bleibt dann am Ende oft das Gefühl, alles läuft schief und man selbst kann nichts dagegen tun. Doch man kann sich als Filmemacher auch bewusst entscheiden, nicht nur Probleme aufzudecken, sondern sich außerdem auf die Suche nach möglichen Antworten und Lösungen zu begeben. In „Die Zukunft ist besser als ihr Ruf“ waren das eben Menschen, die für sich selbst Wege gefunden haben und dadurch vielleicht Zuschauer inspirieren. Es ist ohnedies meine Hoffnung, dass einzelne Menschen erkennen, was ihre Aufgabe ist und wie sie diese wahrnehmen und Rahmenbedingungen schaffen können, sodass ihr Umfeld reagiert.
Wenn ich das große Ganze betrachte und mir überlege, wo es hinauslaufen kann, werde ich auch dystopisch. Schau ich mir aber an, was ich selbst tun und wie ich konstruktiv beitragen kann, komme ich in eine lösungsorientierte Denkweise und in meine kreative Energie. Auch wenn ich mich dabei vielleicht auf das beschränke, was in meiner Macht liegt.

Ich bin ja der Meinung, dass wir ohnehin nur den eigenen Machtkreis beeinflussen können. Oder sagen wir so: Ich kann andere nicht verändern. Doch ich kann sie durch mein Tun ermutigen.
Ja. Manchmal aber braucht mehr als nur meinen Beitrag. Dann muss ich akzeptieren, dass ich nur für mein eigenes Leben verantwortlich bin und nur mir selbst gegenüber Rechenschaft ablegen muss. Wenn ich an all die tollen Menschen denke, die alles gegeben und viel bewegt haben und trotzdem gestorben sind, ohne dass sie die Probleme, mit denen sie sich beschäftigt haben, lösen konnten, macht mich das einerseits traurig. Denn es zeigt, wie starr unsere Welt ist und wie langsam Veränderungen stattfinden. Andererseits hat es mich zu dem Punkt gebracht, dass ich das Leben, das mir gegeben wurde, sinnvoll nutzen, es aber auch leben möchte. Soll heißen: Wenn ich mich nur mit dem Negativen beschäftige, verpasse ich mitunter die vielen schönen und guten Dinge.

Da bin ich voll bei Dir. Zumal nicht nur schlechte Dinge passieren. Sie sind nur „lauter“ als all das Positive, das Mut und Lust auf Zukunft machen kann – wie ja „Die Zukunft ist besser als ihr Ruf“ zeigt. Weißt Du, ob der Film etwas ausgelöst hat?
Ich hoffe und denke schon. Leider erfahre ich das in den seltensten Fällen – und wenn nur zufällig. So habe ich zum Beispiel bei einer Party jemanden getroffen, der mir erzählt hat, dass er, nachdem er den Film gesehen hat, eine WhatsApp-Gruppe gegründet hat, in der die Mitglieder darüber informieren, wenn sie irgendwohin fahren, wo es gute Lebensmittel gibt. Ein anderes Beispiel ist ein Straßenfest, das jemand vor allem für die vielen „Zuagrasten“ während der Lockdowns organisiert hat, nachdem er „Rettet das Dorf“ gesehen hat (in dem 2020 erschienenen Dokumentarfilm zeigt Teresa neue Perspektiven sowie Potenziale auf und erzählt von Menschen, die mit ihren Ideen zu einer Entwicklung beitragen, die das Dorf weiterleben lässt; Anm.).

Welche Möglichkeiten gibt es denn, damit Filme mehr Wellen schlagen? Du machst unter anderem Filmbesprechungen im Anschluss.
Ja. Filmbesprechungen bieten tolle Gelegenheiten und es war und ist mir ein großes Anliegen neben den üblichen Fragen zum Film einen Raum zu bieten, wo die Menschen Dinge aussprechen können, die später eventuell aufgegriffen und weiterverfolgt werden. Dabei ist schon die Tatsache, dass man Filme physisch live an einem Ort anschaut, eine große Qualität des Kinofilms. Schaut man Filme nur mehr zuhause an, lässt man sich gewissermaßen die Chance entgehen, mit Gleichgesinnten zusammenzukommen, zu sehen, wen dieser Film in der eigenen Umgebung auch anspricht und möglicherweise im Anschluss ins Gespräch zu kommen.

Womit wir wieder beim kritischen Diskurs sind. Danke Dir, Teresa, dass wir hier einen solchen führen und vielleicht auch Mut und Lust auf Zukunft machen und inspirieren konnten.

 

Teresa Distelberger (© NGF)

Zur Person: Teresa Distelberger

… ist Filmemacherin mit Fokus auf Kurz- und Dokumentarfilme. 2017 kam der mit der ROMY 2018 als „Beste Kino-Doku“ ausgezeichnete Film „Die Zukunft ist besser als ihr Ruf“ in die Kinos, den sie gemeinsam mit Niko Mayr, Gabi Schweiger und Nicole Scherg realisierte. 2020 folgte mit „Rettet das Dorf“ (2020) der erste Langdokumentarfilm, den die Wahl-Wienerin als alleinige Regisseurin verantwortete. In Performances, Installationen und dialogische Kunsträume beschäftigt sich die Künstlerin außerdem mit ländlichen Traditionen, urbanen und globalen Lebenswelten, Gedenkkultur und einer vielschichtigen Interpretation des kontroversen Heimatbegriffs.
www.artofco.com

 

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Gestaltbarkeit,Im Gespräch mit...

Wenn wir im Film der Zukunft begegnen…

Filmemacherin Teresa Distelberger durfte schon als Kind erfahren, dass die Zukunft mehr Potenzial bietet, als man ihr zugesteht. Ein Gespräch über Gestaltungsmöglichkeiten des (künstlerischen) Tuns, warum Dokumentarfilme nicht dystopisch sein müssen und wieso wir sie im Kino anschauen sollten.

Du bist schon seit drei Jahrzehnten in der Zukunftsarbeit tätig. Was hat sich seither verändert?
Die Zukunft ist seit jeher ein Thema – für den einzelnen, die Gesellschaft als Ganzes, für Industrie, Wirtschaft und Politik. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Allerdings ist das Thema in Gestalt der Zukunftsforschung mittlerweile auch in anderen Bereich angekommen – von Bildungseinrichtungen bis hin zu Ministerien und Regierungen. Natürlich ist der Weg nicht beendet, er geht weiter. Und das ist ja eigentlich das Spannende: Zukunft kann nie gebannt werden, sie bleibt störrisch und immer überraschend. Sie wird immer eine kreative Annäherung erfordern. Letzteres ist im Grunde die herausfordernde Konstante, wenn es um Zukunft geht. Die Bedingungen ringsherum verändern sich laufend. Und aktuell haben wir es noch dazu mit multiplen Krisen zu tun: Klima, Corona, Krieg – um nur einige zu nennen. Das erfordert ein Nachdenken im Voraus: Wie gehen wir künftig mit dem Selbstverständnis um, das wir in Europa über all die Jahre im Hinblick auf Sicherheiten entwickelt haben? Gibt es diese Sicherheiten überhaupt noch?

Hat es sie überhaupt jemals gegeben? Obwohl wahrscheinlich nicht absehbar war, dass es derart viele, wie Du sagst, multiple Krisen in so kurzer Zeit gibt.
Nein! Wobei ich nie behauptet habe, die Zukunft voraussagen zu wollen, geschweige denn zu können. Aber man muss sich schon darüber im Klaren sein: Krisen gehören zur gesellschaftlichen Routine – Krisen, wie das Waldsterben, Tschernobyl, 9/11, die Weltwirtschaftskrise 2008, Corona und jetzt eben der Ukraine-Krieg begleiten uns beständig. Wenngleich natürlich niemand gehofft oder erwartet hat, nach 77 Jahren Frieden noch einmal eine derartige Krise erleben zu müssen. Das haben wir wahrscheinlich ein Stück weit auch verdrängt. Die heftig umstrittene Ost-Politik von Willy Brandt war der Versuch, eine Nachkriegsordnung zu entwerfen, die dauerhaft Frieden ermöglicht. Dieser Versuch ist gescheitert. Fakt ist auch: Eine derart einseitige Energieabhängigkeit von Russland zu schaffen, war ein großer politischer Fehler, gerade im Hinblick auf die notwendige Energiewende.

Ein Fehler, aus dem wir nun lernen dürfen bzw. mit Blick auf die Klimathematik eigentlich müssen…
Stimmt. Krise heißt ja, etwas zum Besseren zu wenden. Und obwohl es nicht widerspruchsfrei ist, so eröffnet sich derzeit immerhin ein Fenster der Möglichkeiten, sodass etwa die Energiewende breiter diskutiert und die eine Beschleunigung erfahren wird, eine mit Sackgassen und Umwegen. Gradlinigkeit ist keine Sache der Zukunft.

Apropos Wende: Welches war und/oder ist Deiner Meinung nach im Sinne der Zukunft die wichtigste Transformation?
Ich denke gerne in historischen Analogiebildern. Schaut man sich etwa die Entwicklung der Industriegesellschaft an, so ist der Verbrauch der Ressourcen in den letzten 200 Jahren exponentiell angestiegen. Und das hat mit den langen Wellen der gesellschaftlichen Entwicklung, die von Basistechnologien getrieben wird, zu tun: von der Dampfmaschine über die Elektrizität bis heute zu Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz. Allerdings wird dabei meiner Meinung nach viel zu wenig darüber diskutiert, dass die Basistechnologien auch jeweils eine neue Infrastruktur benötigen: Autos brauchen Straßen, Energie braucht Leitungen und Computer brauchen Netzwerke. Das passiert aktuell beim Megatrend der Digitalisierung wieder. Was sich aktuell auch beim Megatrend der Digitalisierung mit der Herausbildung von Plattformen zeigt. Die Digitalisierung ist dabei lediglich eine Technologie, sie ersetzt und ist keine Ethik.
Interessanter und hinsichtlich der Zukunft sogar wichtiger sind die Kontexte dahinter: die kulturelle Aneignung, die Entfaltung neuer Produktionsweisen, die Chance, mit neuen Möglichkeiten, aktuelle Probleme anzugehen, wie etwa eine algorithmengesteuerte, ressourceneffiziente Kreislaufwirtschaft. Und es geht auch immer um alte Fragen: Was hält uns zusammen und wie wollen wir leben?

Es braucht also Wissen und Austausch.
Ja, wobei man hier zwei Dinge bedenken sollte: Etliche Studien zeigen, dass die große Mehrheit der Bevölkerung nicht zukunftsoffen ist, sondern der Zukunft eher ängstlich und kritisch gegenübersteht. Das muss man ernst nehmen. Man darf die Menschen nicht vor vollendete Tatsachen stellen, sondern muss sie an Veränderungen beteiligen. Auf einer abstrakten Ebene ist das schwierig, daher brauchen wir einen breiten Diskurs, Auseinandersetzung, Kommunikation, wohin wir wollen und wie wir dorthin kommen. Außerdem müssen den Bürgern Erprobungsräume für Zukünftiges eröffnet werden. Erfolge und Misserfolge müssen erlebbar sein. Spannend ist hier etwa der neue Ansatz einer missionsorientierten Innovationspolitik in Deutschland und Europa: Die Ziele der Innovationen sollen sich an den 17 UN-Zielen für eine nachhaltige Entwicklung orientieren und im Rahmen partizipativer Prozesse unter Einbindung der Zivilgesellschaft formuliert werden. Bis dato ist das noch kaum in der Zivilgesellschaft angekommen, doch der Ansatz verdient mehr Aufmerksamkeit.

Und der zweite Punkt, den wir bedenken sollten?
Der betrifft das Wissen. Noch nie standen den Menschen so viele Informationszugänge zur Verfügung. Wir werden regelrecht davon überflutet. Das war im Verlauf der Industrialisierung nicht der Fall. Außerdem haben wir mit den Fortschritten in Wissenschaft und Technik jetzt Werkzeuge in der Hand, die neu und mächtig sind: von der Atomkraft bis zu KI und Life Science. Nicht zuletzt auch aus diesem Grund wurde Anfang des Jahrtausends der Begriff des Anthropozäns geprägt. Demnach erleben wir aktuell eine Epoche, in der der Mensch zum wichtigsten Faktor auf den blauen Planeten geworden ist. Er bestimmt nicht nur den CO2-Eintrag in die Atmosphäre, er ist heute in der Lage in die Grundbausteine des Lebens, den Atomen, Genen, Bits und Bytes gestaltend einzugreifen.

Die Frage ist: Wird es das Zeitalter des zerstörerischen Menschen und der Krisen?
Das kommt darauf an. Die Klimaproblematik – sicher eine der größten Krisen unserer Zeit – ist etwa auf das Engste mit unserer Lebensweise und unserem Wohlstandsmodell verbunden. Und ja, damit nachfolgende Generationen noch eine lebenswerte Welt vorfinden, braucht es ein Umdenken und einen weitreichenden Wandel. Ob wir uns tatsächlich, wie viele sagen, in einer Zeit des Epochenwechsels befinden, ist schwer zu sagen, wenn man selbst Zeitgenosse ist. Es spricht aber einiges dafür, schließlich erleben wir vielfältige Veränderungen, auch Kipppunkte, sei es politisch, technologisch, ökonomisch oder eben ökologisch. Wir müssen grundsätzliche Dinge des Zusammenlebens, des Wirtschaftens und Arbeitens neu denken.

Allerdings kann Wandel halt auch nicht angeordnet werden. Der Einzelne kann durch die eigene Veränderung andere inspirieren und somit zum gesellschaftlichen, kulturellen Wandel beitragen.
Sofern der Einzelne das tut. Schlussendlich kann die bevorstehende und politisch gewollte Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft nur gelingen, wenn Akteure der Zivilgesellschaft daran beteiligt werden – mit all ihren unterschiedlichen Sichtweisen. Robert Jungk, den ich selbst noch kennenlernen durfte, war in der Hinsicht ein großer Vordenker. Er hat sich gegen das Expertentum ausgesprochen und für Beteiligungen wie in Zukunftswerkstätten stark gemacht. Uns muss klar sein, dass wir in der Gesellschaft Rechte aber auch Pflichten als Bürger haben. Das ist ein Grundsatz der Demokratie und die ist nun mal kein Geschenk. Das müssen wir ebenfalls begreifen. Wenn wir Demokratie zu schätzen wissen, werden wir sie mit klarer Haltung gegen alle Krisen verteidigen und an die jeweiligen Rahmenbedingungen anpassen müssen.

Womit wir bei D2030 sind: Eine Initiative, die Du zusammen mit anderen Visionären 2018 ins Leben gerufen hast mit dem Ziel, eine Landkarte von Zukunftsbildern für Deutschland zu erstellen.
Ja, wir wollten in einem offenen Szenarioprozess „Deutschland neu denken“. Wir wollten zeigen: Es gibt Alternativen und Perspektiven. Und wir wollten damit Orientierung bieten. In drei Beteiligungsrunden haben wir acht Szenarien erarbeitet, die zusammen eine Zukunftslandkarte ergeben. Die sogenannten Neue Horizonte-Szenarien wurden dabei als wünschenswert bewertet. Die Szenarien beschreiben Pfade in die Zukunft. Man könnte sie auch als Trichter betrachten, der einen prinzipiell vorstellbaren Zukunftsraum aufspannt. Mit Corona haben wir sie auf ihre Robustheit überprüft und sie haben standgehalten. Wir sind aber derzeit dabei, die Neue Horizonte-Szenarien nach 2018 insgesamt neu zu entwerfen. Es ist viel passiert, nicht zuletzt der Krieg in der Ukraine. Weiters wollen wir als Verein, der Zukunft eine Stimme geben, etwa mit unseren monatlichen Futures Lounges via Zoom oder durch praxisbezogene Projekte und Initiativen. Wir sind übrigens offen für Mitarbeit.

Also wir sind auf jeden Fall dabei. Danke für das inspirierende Gespräch, Klaus!

 

Zur Person: Klaus Burmeister

… ist, wie er selbst sagt, Zukunftsdiagnostiker – und nicht Zukunftsforscher. So oder so ist er seit Mitte der 1980er-Jahre im Bereich der Zukunftsarbeit tätig, baute 1990 das Sekretariat für Zukunftsforschung in Gelsenkirchen auf, war 1997 Mitgründer von Z_punkt und rief 2014 das foresightlab in Berlin ins Leben. Seit 2016 ist er außerdem Geschäftsführer der gemeinnützigen Initiative D2030.
www.foresightlab.de
www.d2030.de

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Im Gespräch mit...,Transformation

Krisen gehören zur gesellschaftlichen Entwicklung

Klaus Burmeister ist davon überzeugt, dass Krisen immer auch Möglichkeiten eröffnen und die Welt dadurch besser werden kann. Außerdem sprechen wir über fehlende Infrastrukturen, Zukunftsängste und zu viel Wissen in Zeiten des Wandels und warum Deutschland nun eine Landkarte von Zukunftsbildern hat.

Unser Leben verändert sich immer schneller. Als Kultur- und Sozialanthropologin beschäftigst Du Dich mit dem Wesen des Menschen. Warum tun sich die meisten schwer, mit derart schnellen Veränderungen umzugehen?
Schnelllebige Veränderung ist nichts Natürliches, sondern etwas Kulturelles bzw. kulturell Gewachsenes. Allerdings fällt es uns schwer, schnelle Veränderungen kognitiv zu verarbeiten. Dafür sind wir nicht gemacht – weder das Individuum noch die Gesellschaft bzw. unsere Kultur. Evolutionär betrachtet, also im Leben unserer steinzeitlichen Vorfahren, gab es auf lange Sicht keine derartig schnellen Veränderungen. Sie sind uns also nicht inhärent. Das könnte ein Grund sein.
Man muss aber auch wissen, dass wir uns kulturell immer an die Dinge anpassen, die uns passieren. Also etwa auch Veränderungen, die uns infrastrukturell vorgegeben werden. In der Folge beeinflusst sich das gegenseitig – wie ein Feedback-Loop. Und so passen sich auch unsere Werte und Normen wieder an. Im Hinblick auf Letzteres hinken wird derzeit aber hinterher.

Wenn sich unsere Welt einerseits immer schneller verändert und wir andererseits in gewissen Bereichen hinterherhinken, besteht da nicht die Gefahr, dass wir in Zukunft vom Leben ständig überholt werden? Sprich: Wenn wir unsere Pläne über den Haufen werfen müssen, noch bevor sie umgesetzt werden konnten, macht es da überhaupt noch Sinn, Pläne für die Zukunft zu schmieden?
Dass Zukunft bei uns einen derart hohen Stellenwert hat bzw. dass wir überhaupt in Zukunft denken, ist Teil unserer Gesellschaft und ebenfalls kulturell gewachsen. In Jäger-Sammler-Gesellschaften, auf die ich mich spezialisiert habe, gibt es Zukunft in der Form gar nicht. Sie können es sprachlich bzw. grammatikalisch nicht ausdrücken. Zukunft hat für Jäger und Sammler keine kulturelle Wertigkeit, denn man lebt im Hier und Jetzt. Das ist unter anderem möglich, weil diese Gesellschaften viel kleiner und simpler sind. Letzteres ist nicht wertend gemeint, sondern bedeutet, dass sie etwa im Vergleich zu der Gesellschaft, in der wir beide aufgewachsen sind, wesentlich weniger komplex aufgebaut sind. Je komplexer eine Gesellschaft, umso komplexer sind die Themen, die behandelt werden müssen.

Kalahari-Wüste in Namibia (c) Louis Liebenberg

 

Wir wissen nicht, was morgen ist. Das ist an sich nichts Neues, schließlich konnten wir nie vorhersagen, was die Zukunft tatsächlich bringt. Die Corona-Pandemie hat uns in der Hinsicht allerdings regelrecht vorgeführt und ist in gewisser Weise wie eine perfekte Spielwiese für diese sich derart schnell verändernde Welt. Woran können sich die Menschen dennoch orientieren?
Wie wäre es mit Ergebnisoffenheit?

Du meinst, dass wir uns daran orientieren sollen, dass alles möglich ist?
Ja. Wobei das auch nichts Neues ist. Wie Du gerade selbst gesagt hast, konnten wir die Zukunft noch nie punktgenau vorhersagen, aber vor Corona hatte man zumindest das Gefühl, dass man Dinge, Veränderungen usw. abschätzen konnte. Jetzt kann man gar nichts mehr abschätzen. Umso wichtiger ist es, dass wir lernen, damit umzugehen. Und hier würde uns Ergebnisoffenheit sehr helfen. Gesellschaftsstrukturell ist das übrigens etwas ganz anderes.

Warum? Kann eine Gesellschaft nicht ergebnisoffen agieren?
Sie kann schon, aber sie braucht dennoch gewisse Strukturen. Anders gesagt: Wir müssten darüber reden, welche Strukturen es braucht, damit wir das als Gesellschaft schaffen. Da liegt ein großes Stück Arbeit vor uns. Ich bin allerdings hoffnungsvoll, dass wir es schaffen, die Dinge neu zu kalibrieren. Welche Strukturen das sind, kann ich nicht sagen. Dafür müssten wir einen Diskurs führen.

Ein gutes Stichwort. Oft finden wir nämlich im Gespräch neue Wege und Orientierung. Ich habe jedoch das Gefühl, dass die Menschen immer seltener miteinander reden, dass man einander nicht mehr zuhört, dass man andere Meinungen nicht mehr zulässt. Haben wir die Diskursfähigkeit verloren?
Ich glaube eher, dass wir sie über eine lange Zeit gar nicht gebraucht haben. Das hängt stark mit Machtsystemen zusammen. In Hierarchien, die es übrigens in dieser Form in Jäger-Sammler-Gesellschaften nicht gibt, werden Dinge von „oben“ vorgegeben. Und die Menschen haben das ja auch mitgetragen, weshalb es über viele Jahre und Jahrzehnte funktioniert hat. Jetzt aber werden diese Strukturen zunehmend hinterfragt. Immer mehr Menschen – von Fridays for Future über people of color und andere Minderheiten bis hin zu all jenen, die gegen die Pandemie-Politik auf die Straße gehen – wollen mitreden, wollen gehört werden.

Auf der Straße gibt es allerdings weniger Diskurs…
Stimmt. Umso wichtiger ist es, dass wir wieder anfangen, miteinander zu reden. Dabei ist es in meinen Augen entscheidend, dass wir uns darüber im Klaren sind, dass unterschiedlichste Menschen mit unterschiedlichsten Meinungen miteinander reden.

Es braucht also eine Kombination aus Diskurs und Diversität – eine Kultur des diversen Diskurses sozusagen. Das könnte dem Einzelnen wohl auch Orientierung geben, da er aus unterschiedlichsten Meinungen und Anschauungen seinen eigenen Weg finden könnte.
Klingt gut. Abgesehen davon hat Orientierung für mich auch damit zu tun, womit wir uns identifizieren. Wobei einmal mehr wichtig ist zu akzeptieren, dass jeder Mensch unterschiedlich ist und sich somit mit anderen Werten identifierzt. Dafür braucht es eine Offenheit, die zwar auf den ersten Blick beängstigend ist, weil es nicht die eine universelle Identität gibt, an der man sich orientieren kann. Auf den zweiten Blick eröffnet einem das aber Welten. Sobald man erkennt, dass es wesentlich spannender ist, eine breite Perspektive ohne universelle Annahmen und Werte zu haben bzw. sich dieser anzunähern, kann man viel freier agieren.

 

Je weniger ich darüber nachdenke, was – scheinbar – vorgegeben ist, umso freier bin ich.
Ja. Die Arbeit mit Jäger-Sammler-Gesellschaften hat mir in der Hinsicht sehr geholfen. So haben diese beispielsweise keine Idee von Wettkampf. Es gibt weder Gewinner noch Verlierer. Auch kennen sie kein Besitztum. Wir hingegen identifizieren uns oft über Besitz, Geld, unsere berufliche Position usw. Derartige Werte sind in unseren Gesellschaften kulturell gewachsen. Und das wiederum bedeutet, dass ich mich nicht damit identifizieren muss, weil es uns nicht inhärent ist.
Was ist damit sagen möchte: Viele Dinge, die uns in unserer Welt als gegeben betrachtet werden, sind in Wahrheit kulturell gewachsen. Die Welt, wie wir sie kennen, ist nicht in Stein gemeißelt. Wir wurden, wenn man so möchte, zufällig hineinsozialisiert. Dieses Wissen hilft, die eigene Welt zu relativieren.

Ein schöner Gedanke. Der Einzelne kann seine Welt somit jederzeit neu ausrichten – ohne dabei durch scheinbar fixe Systeme eingeschränkt zu werden.
Ja, wobei sich auch Systeme und Gesellschaften ständig verändern, unter anderem weil sich deren kulturelle Werte und Regelungen verändern. Die Corona-Pandemie hat unser Leben von heute auf morgen ausgebremst und uns unter anderem aufgezeigt, dass wir zu schnell unterwegs waren. Zuvor war alles möglich und zwar oft ohne große Anstrengungen. Nun gilt es, sich darüber klar zu werden, welche Werte „nur“ kulturell gewachsen sind. Folglich liegt es auch in unserer Hand, Neues entstehen zu lassen. Dafür aber muss sich erst einmal das Mindset ändern …

… Zukunft neu denken, sozusagen.
Genau. In den letzten zwei Jahren ist irrsinnig viel ins Wanken gekommen. Jetzt brauchen wir Raum und Zeit, uns damit auseinanderzusetzen, die Dinge neu anzugehen. Wir müssen uns wieder Fragen stellen: Was will ich eigentlich? Was brauche ich in meinem Leben? Was möchte ich in Zukunft machen?

Leider aber ist das Verständnis dafür, dass man sich für derartige Gedanken Zeit oder besser gesagt eine Auszeit nimmt, oft nicht vorhanden.
Und das ist einmal mehr ein kulturell gewachsener Wert: Viele definieren sich darüber, wie viel und was sie arbeiten. Aber auch in der Hinsicht ist vieles im Umbruch. Und wenngleich das für den Einzelnen mitunter schwierig ist, sehe ich es optimistisch. Wenn wir uns nämlich Fragen über die Zukunft stellen wollen, brauchen wir Zeit dafür – ansonsten wird es anstrengend. Und meiner Meinung nach sind wir nun an einem Punkt, an dem wir uns mit diesen Fragen auseinandersetzen müssen. Einerseits um nicht vollends den Drive zu verlieren. Andererseits, weil es eine Chance ist, die wir nutzen müssen. Und zwar als Individuum als auch als Gesamtgesellschaft. Wir müssen jetzt vieles miteinander reflektieren und gemeinsam in die Zukunft blicken, um diese neu gestalten zu können.

Vielen Dank für das Gespräch, Bettina!

 

(c) Christine Baireder

 

Zur Person: Bettina Ludwig

Warum tun wir, was wir tun? Diese Frage stellt sich die Kultur- und Sozialanthropologin Bettina Ludwig und hinterfragt damit gesellschaftliche Strukturen. Ihre Erkenntnisse zieht sie aus 300.000 Jahren Menschheitsgeschichte und ihren Forschungen mit einer der letzten lebenden Jäger-Sammlergruppe in der Kalahari Wüste Namibias. Ihr Leitsatz: Wir brauchen ein neues Menschenbild. Anstatt einen „Zurück zum Ursprung“-Gedanken zu verfolgen, weiß sie, wie wichtig es ist zu erkennen, welches Potential in unserer Zukunft liegt. Bettina Ludwig hat selbst erlebt, wie ihre Forschungen ihr Weltbild auf den Kopf gestellt haben und gibt dieses Wissens auch als Keynote-Speakerin weiter. Für ihre Forschungen wurde sie 2019 mit dem Rupert Riedl Preis ausgezeichnet. Als Unternehmerin und Visionärin rief sie während des Lockdowns im März 2020 ein Projekt ins Leben, das zum Ziel hat unternehmerisch denkende Menschen zusammen zu bringen, die gemeinsam Zukunft gestalten wollen: das Zukunfts.Symposium Eferding. Im April 2022 erscheint ihr erstes Buch bei Kremayr&Scheriau. Es trägt den Titel „Unserer Zukunft auf der Spur: Wer wir waren, wer wir sind, wer wir sein können.“ Bettina Ludwig stellt darin das Welt- und Menschenbild des Lesers auf den Kopf und nimmt sie mit zu Jäger-Sammler-Gesellschaften, in denen Zeit, Besitz und Hierarchien anders funktionieren, als wir es gewohnt sind. Sie erklärt, warum Spurenlesen die Urform der Wissenschaft ist, und zeigt schlüssig auf, dass Menschen vor allem kulturell bedingt handeln, und nicht, „weil sie eben so sind“.

Link: www.bettinaludwig.at & www.zukunftssymposium.at

 

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Im Gespräch mit...,Orientierung

Bettina Ludwig: Wie wäre es mit Ergebnisoffenheit?

Ein Gespräch mit der Kultur- und Sozialanthropologin Bettina Ludwig über eine Welt, die sich immer schneller verändert, warum wir ergebnisoffene Zukunftspläne brauchen, weshalb wir wieder miteinander reden und diskutieren sollten und wieso wir uns Zeit nehmen müssen, darüber nachzudenken, was wir wirklich wollen.