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Wandel

Du bist schon seit drei Jahrzehnten in der Zukunftsarbeit tätig. Was hat sich seither verändert?
Die Zukunft ist seit jeher ein Thema – für den einzelnen, die Gesellschaft als Ganzes, für Industrie, Wirtschaft und Politik. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Allerdings ist das Thema in Gestalt der Zukunftsforschung mittlerweile auch in anderen Bereich angekommen – von Bildungseinrichtungen bis hin zu Ministerien und Regierungen. Natürlich ist der Weg nicht beendet, er geht weiter. Und das ist ja eigentlich das Spannende: Zukunft kann nie gebannt werden, sie bleibt störrisch und immer überraschend. Sie wird immer eine kreative Annäherung erfordern. Letzteres ist im Grunde die herausfordernde Konstante, wenn es um Zukunft geht. Die Bedingungen ringsherum verändern sich laufend. Und aktuell haben wir es noch dazu mit multiplen Krisen zu tun: Klima, Corona, Krieg – um nur einige zu nennen. Das erfordert ein Nachdenken im Voraus: Wie gehen wir künftig mit dem Selbstverständnis um, das wir in Europa über all die Jahre im Hinblick auf Sicherheiten entwickelt haben? Gibt es diese Sicherheiten überhaupt noch?

Hat es sie überhaupt jemals gegeben? Obwohl wahrscheinlich nicht absehbar war, dass es derart viele, wie Du sagst, multiple Krisen in so kurzer Zeit gibt.
Nein! Wobei ich nie behauptet habe, die Zukunft voraussagen zu wollen, geschweige denn zu können. Aber man muss sich schon darüber im Klaren sein: Krisen gehören zur gesellschaftlichen Routine – Krisen, wie das Waldsterben, Tschernobyl, 9/11, die Weltwirtschaftskrise 2008, Corona und jetzt eben der Ukraine-Krieg begleiten uns beständig. Wenngleich natürlich niemand gehofft oder erwartet hat, nach 77 Jahren Frieden noch einmal eine derartige Krise erleben zu müssen. Das haben wir wahrscheinlich ein Stück weit auch verdrängt. Die heftig umstrittene Ost-Politik von Willy Brandt war der Versuch, eine Nachkriegsordnung zu entwerfen, die dauerhaft Frieden ermöglicht. Dieser Versuch ist gescheitert. Fakt ist auch: Eine derart einseitige Energieabhängigkeit von Russland zu schaffen, war ein großer politischer Fehler, gerade im Hinblick auf die notwendige Energiewende.

Ein Fehler, aus dem wir nun lernen dürfen bzw. mit Blick auf die Klimathematik eigentlich müssen…
Stimmt. Krise heißt ja, etwas zum Besseren zu wenden. Und obwohl es nicht widerspruchsfrei ist, so eröffnet sich derzeit immerhin ein Fenster der Möglichkeiten, sodass etwa die Energiewende breiter diskutiert und die eine Beschleunigung erfahren wird, eine mit Sackgassen und Umwegen. Gradlinigkeit ist keine Sache der Zukunft.

Apropos Wende: Welches war und/oder ist Deiner Meinung nach im Sinne der Zukunft die wichtigste Transformation?
Ich denke gerne in historischen Analogiebildern. Schaut man sich etwa die Entwicklung der Industriegesellschaft an, so ist der Verbrauch der Ressourcen in den letzten 200 Jahren exponentiell angestiegen. Und das hat mit den langen Wellen der gesellschaftlichen Entwicklung, die von Basistechnologien getrieben wird, zu tun: von der Dampfmaschine über die Elektrizität bis heute zu Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz. Allerdings wird dabei meiner Meinung nach viel zu wenig darüber diskutiert, dass die Basistechnologien auch jeweils eine neue Infrastruktur benötigen: Autos brauchen Straßen, Energie braucht Leitungen und Computer brauchen Netzwerke. Das passiert aktuell beim Megatrend der Digitalisierung wieder. Was sich aktuell auch beim Megatrend der Digitalisierung mit der Herausbildung von Plattformen zeigt. Die Digitalisierung ist dabei lediglich eine Technologie, sie ersetzt und ist keine Ethik.
Interessanter und hinsichtlich der Zukunft sogar wichtiger sind die Kontexte dahinter: die kulturelle Aneignung, die Entfaltung neuer Produktionsweisen, die Chance, mit neuen Möglichkeiten, aktuelle Probleme anzugehen, wie etwa eine algorithmengesteuerte, ressourceneffiziente Kreislaufwirtschaft. Und es geht auch immer um alte Fragen: Was hält uns zusammen und wie wollen wir leben?

Es braucht also Wissen und Austausch.
Ja, wobei man hier zwei Dinge bedenken sollte: Etliche Studien zeigen, dass die große Mehrheit der Bevölkerung nicht zukunftsoffen ist, sondern der Zukunft eher ängstlich und kritisch gegenübersteht. Das muss man ernst nehmen. Man darf die Menschen nicht vor vollendete Tatsachen stellen, sondern muss sie an Veränderungen beteiligen. Auf einer abstrakten Ebene ist das schwierig, daher brauchen wir einen breiten Diskurs, Auseinandersetzung, Kommunikation, wohin wir wollen und wie wir dorthin kommen. Außerdem müssen den Bürgern Erprobungsräume für Zukünftiges eröffnet werden. Erfolge und Misserfolge müssen erlebbar sein. Spannend ist hier etwa der neue Ansatz einer missionsorientierten Innovationspolitik in Deutschland und Europa: Die Ziele der Innovationen sollen sich an den 17 UN-Zielen für eine nachhaltige Entwicklung orientieren und im Rahmen partizipativer Prozesse unter Einbindung der Zivilgesellschaft formuliert werden. Bis dato ist das noch kaum in der Zivilgesellschaft angekommen, doch der Ansatz verdient mehr Aufmerksamkeit.

Und der zweite Punkt, den wir bedenken sollten?
Der betrifft das Wissen. Noch nie standen den Menschen so viele Informationszugänge zur Verfügung. Wir werden regelrecht davon überflutet. Das war im Verlauf der Industrialisierung nicht der Fall. Außerdem haben wir mit den Fortschritten in Wissenschaft und Technik jetzt Werkzeuge in der Hand, die neu und mächtig sind: von der Atomkraft bis zu KI und Life Science. Nicht zuletzt auch aus diesem Grund wurde Anfang des Jahrtausends der Begriff des Anthropozäns geprägt. Demnach erleben wir aktuell eine Epoche, in der der Mensch zum wichtigsten Faktor auf den blauen Planeten geworden ist. Er bestimmt nicht nur den CO2-Eintrag in die Atmosphäre, er ist heute in der Lage in die Grundbausteine des Lebens, den Atomen, Genen, Bits und Bytes gestaltend einzugreifen.

Die Frage ist: Wird es das Zeitalter des zerstörerischen Menschen und der Krisen?
Das kommt darauf an. Die Klimaproblematik – sicher eine der größten Krisen unserer Zeit – ist etwa auf das Engste mit unserer Lebensweise und unserem Wohlstandsmodell verbunden. Und ja, damit nachfolgende Generationen noch eine lebenswerte Welt vorfinden, braucht es ein Umdenken und einen weitreichenden Wandel. Ob wir uns tatsächlich, wie viele sagen, in einer Zeit des Epochenwechsels befinden, ist schwer zu sagen, wenn man selbst Zeitgenosse ist. Es spricht aber einiges dafür, schließlich erleben wir vielfältige Veränderungen, auch Kipppunkte, sei es politisch, technologisch, ökonomisch oder eben ökologisch. Wir müssen grundsätzliche Dinge des Zusammenlebens, des Wirtschaftens und Arbeitens neu denken.

Allerdings kann Wandel halt auch nicht angeordnet werden. Der Einzelne kann durch die eigene Veränderung andere inspirieren und somit zum gesellschaftlichen, kulturellen Wandel beitragen.
Sofern der Einzelne das tut. Schlussendlich kann die bevorstehende und politisch gewollte Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft nur gelingen, wenn Akteure der Zivilgesellschaft daran beteiligt werden – mit all ihren unterschiedlichen Sichtweisen. Robert Jungk, den ich selbst noch kennenlernen durfte, war in der Hinsicht ein großer Vordenker. Er hat sich gegen das Expertentum ausgesprochen und für Beteiligungen wie in Zukunftswerkstätten stark gemacht. Uns muss klar sein, dass wir in der Gesellschaft Rechte aber auch Pflichten als Bürger haben. Das ist ein Grundsatz der Demokratie und die ist nun mal kein Geschenk. Das müssen wir ebenfalls begreifen. Wenn wir Demokratie zu schätzen wissen, werden wir sie mit klarer Haltung gegen alle Krisen verteidigen und an die jeweiligen Rahmenbedingungen anpassen müssen.

Womit wir bei D2030 sind: Eine Initiative, die Du zusammen mit anderen Visionären 2018 ins Leben gerufen hast mit dem Ziel, eine Landkarte von Zukunftsbildern für Deutschland zu erstellen.
Ja, wir wollten in einem offenen Szenarioprozess „Deutschland neu denken“. Wir wollten zeigen: Es gibt Alternativen und Perspektiven. Und wir wollten damit Orientierung bieten. In drei Beteiligungsrunden haben wir acht Szenarien erarbeitet, die zusammen eine Zukunftslandkarte ergeben. Die sogenannten Neue Horizonte-Szenarien wurden dabei als wünschenswert bewertet. Die Szenarien beschreiben Pfade in die Zukunft. Man könnte sie auch als Trichter betrachten, der einen prinzipiell vorstellbaren Zukunftsraum aufspannt. Mit Corona haben wir sie auf ihre Robustheit überprüft und sie haben standgehalten. Wir sind aber derzeit dabei, die Neue Horizonte-Szenarien nach 2018 insgesamt neu zu entwerfen. Es ist viel passiert, nicht zuletzt der Krieg in der Ukraine. Weiters wollen wir als Verein, der Zukunft eine Stimme geben, etwa mit unseren monatlichen Futures Lounges via Zoom oder durch praxisbezogene Projekte und Initiativen. Wir sind übrigens offen für Mitarbeit.

Also wir sind auf jeden Fall dabei. Danke für das inspirierende Gespräch, Klaus!

 

Zur Person: Klaus Burmeister

… ist, wie er selbst sagt, Zukunftsdiagnostiker – und nicht Zukunftsforscher. So oder so ist er seit Mitte der 1980er-Jahre im Bereich der Zukunftsarbeit tätig, baute 1990 das Sekretariat für Zukunftsforschung in Gelsenkirchen auf, war 1997 Mitgründer von Z_punkt und rief 2014 das foresightlab in Berlin ins Leben. Seit 2016 ist er außerdem Geschäftsführer der gemeinnützigen Initiative D2030.
www.foresightlab.de
www.d2030.de

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Im Gespräch mit...,Transformation

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Klaus Burmeister ist davon überzeugt, dass Krisen immer auch Möglichkeiten eröffnen und die Welt dadurch besser werden kann. Außerdem sprechen wir über fehlende Infrastrukturen, Zukunftsängste und zu viel Wissen in Zeiten des Wandels und warum Deutschland nun eine Landkarte von Zukunftsbildern hat.